vorheriges werk nächstes werk



sisu.

für Oboe, Violoncello und Klavier
  1993               Besetzung: Ob — Pf — Vc
  ~8’
             

  2002:
   

 

 

text

 


Der Programmhefttext zur Uraufführung (1993):

 

Sisu ("Geflüster") bezeichnet eine Form des Totenzaubers, der im germanischen Sprachraum vor der Christianisierung verbreitet war. Die mit gedämpfter Stimme in geheimnisvoll flüsterndem Ton gesungenen, von gelegentlichen Aufschreien zerrissenen Gesänge, die den Geist des Toten bannen und an der Rückkehr in den Körper hindern sollten, waren mit Tanz und Opfer verbunden und ebenso bei der Leichenwache wie auch bei der Bestattung selbst gebräuchlich.

Die Form von Sisu. für Oboe, Violoncello und Klavier, das 1993 für das Trio "Aulos" entstand und diesem gewidmet ist, erwächst aus sieben klanglich stark kontrastierenden Charakteren (A—G). Diese gruppieren sich zu 23 Abschnitten, welche sieben Binnenzyklen bilden, wobei A 3mal, B und C je 5mal, D und E je dreimal sowie F und G zweimal auftritt:

 

 

Stephan Winkler: Sisu. (Form vertikal)

 

Allerdings sind die 23 Abschnitte alles andere als gleich lang. Ihre Dauer nimmt nach dem Proportionsgesetz der Fibonacci-Reihe zunächst ab — um nach dem Erreichen des Goldenen Schnitts nach dem gleichen Prinzip wieder länger zu werden:
377—233—144—89—55—34—21—13—8—5—3—2—1|1—2—3—5—8—13—22—34—55—89—144—233 (=1593 Sechzehntel):

 

Stephan Winkler: Sisu. (Form horizontal und proportional)



Abgehoben von dieser sogartigen formalen Entwicklung wird 19mal der gleiche, spiegelsymmetrische, siebentönige (doch nie identisch instrumentierte) Akkord repetiert, der zwischen seiner Funktion als Anfangsimpuls und Schlusspunkt im stets unverändert gleichen Abstand von 89 Sechzehnteln wiederkehrt und dadurch gewissermaßen "ernüchternde" Kerben in den ansonsten eher dynamischen Formverlauf einfügt.

(Anmerkung: Wie auch in dem auf Sisu. folgenden Zwillingsstück Skinfaxi|Hrimfaxi haben mich während der Komposition dieses Wekes unter anderem hörpsychologische Fragestellungen beschäftigt: etwa jene, welchen Einfluss auf die Wahrnehmung eines unveränderten, wenn auch sehr langsamen "Pulses" eine stark schwankende Ereignisdichte des restlichen musikalischen Geschehens hat.)