SKART
KONZEPT
Aus dem SKART-Gründungsmanifest DISPLAY (2000):
VORSATZ
Musikalische Absichten sollen sich in Musik manifestieren. Nur zum Zweck der Selbstverständigung wurde dieser kurze Text verfasst — eine lose Folge von Formulierungen mit dem Ziel, die Konturen des Vorhabens zu umreißen.
ANLASS
Die europäische Kunstmusik (hier insbesondere die deutsche) hat in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung stilistischer Verhärtung genommen, die zu ihrer ästhetischen Trivialisierung, gesellschaftlichen Marginalisierung und — in letzter Konsequenz — zum Absterben dieser einzigartigen Tradition führt. Dem gilt es etwas entgegenzusetzen. Ziel ist deshalb die Entwicklung eines neuen musikalischen Denkens und Handelns, das sich auf allen Ebenen des Musikmachens und des Erscheinungsbildes der Resultate manifestiert. Da weder angestrebt wird, die moderne Tradition des Deklarierens eines ahistorischen oder gar anti-historischen "neuen Stils" fortzusetzen noch das Adaptieren der Selbsttäuschungen jenes weitverbreiteten Fortschrittsglaubens, der musikalische Fragestellungen für dauerhaft "überwunden" erklärt, sollen ein paar Aspekte aufgezählt werden, die den Kern jener Tradition Europäischer Kunstmusik auszumachen scheinen, an den eine revitalisierte Fortsetzung derselben anzuknüpfen hätte.
ANKNÜPFUNGEN UND BRÜCHE
Unzweifelhafte Anzeichen für die Verwurzelung in der Tradition Europäischer Kunstmusik mögen u.a. der künstlerische Anspruch an ästhetische Konsequenz und der kompositorische an strukturelle Vielschichtigkeit der Kompositionen sowie die Einbeziehung der klanglichen Möglichkeiten traditioneller europäischer Instrumente sein. Gebrochen werden soll hingegen mit ideologischen Gefängnissen und pseudophilosophischen Rechtfertigungsstrategien. Die Suche nach Möglichkeiten der Einbindung der Musik in das gesellschaftliche Leben und der bewusste Umgang mit den außermusikalischen Aspekten des gesellschaftlichen Ereignisses "Konzert" sind naheliegende Konsequenzen eines für die gegenwärtige Situation der sogenannten Neuen Musik sensibilisierten Bewusstseins.
FORMEN
Verwirklicht werden soll eine neue Form von audio-visuellen Konzertkonzepten: durchkomponierte Unikate mit inhaltlicher Bindungsfähigkeit, einmalige konzertante Konstellationen, denen jeweils ein klares thematisches Konzept zugrunde liegt. Das Ziel ist die Entwicklung einer modularen Veranstaltungsform, die den heutigen Bedürfnissen an das soziale Ereignis Konzertbesuch und aktuellen Modi der Wahrnehmung entgegenkommt, um darin konzeptionell Anspruchsvolles und musikalisch Kompromissloses vorzustellen. Große Bedeutung wird bei der Entwicklung dieser Konzepte dem Veranstaltungsraum selbst beigemessen. Aus dem oben formulierten Anspruch folgt, dass jedes Programm auf die Spezifika der Akustik, der optischen Erscheinung sowie — gegebenenfalls — der Geschichte des Konzertraums reagiert.
Unverzichtbarer Teil aller audio-visuellen Konzertkonzepte ist die Integration von Videoprojektionen. Weil sie nichts bloß Hinzugefügtes sind, sind alle Videos in erkennbarer Weise Teil des musikalischen Geschehens und mit gleicher Sorgfalt wie dieses komponiert. Ziel ist es, sie als integralen Bestandteil des Werkes zu entwickeln — ebenso unverzichtbar wie jeder einzelne Instrumentalpart.
GEBOTE
1. Der Kern der formalen und inhaltlichen Konzepte von Musik soll sich auch ungeübten Hörern ohne verbales Beiwerk erschließen. (Die Tiefe des Verständnisses ist dabei naturgemäß verschieden, aber wir gehen von wohlgesonnenen und aufmerksamen Hörern aus; diesen soll der Zugang zur Musik nicht auf allen Ebenen durch Codierungen verwehrt werden, die hörend nicht entschlüsselbar sind.)
2. Ein ideologisch unverstelltes Bekenntnis zu allen eigenen musikalischen Vorlieben und Wurzeln wird angestrebt. Die Nutzung aller musikalischen Farben und Formen, die heute zur Verfügung stehen, ist grundsätzlich legitim. Auswahl und Einschränkungen der Vielfalt sind ausschließlich aus ästhetischen Erwägungen getroffene, souveräne Entscheidungen des Komponisten.
3. Der panische Verzicht auf jegliches hörbare Metrum, der beinahe alle Werke in Deutschland präferierter Neuer Musik kennzeichnet, erscheint als eine unnötige Selbstverstümmelung. Ein spürbarer Puls (und sei er noch so komplex strukturiert) und ein auf diesen in möglichst vielfältiger Weise bezogener Rhythmus sind deshalb ausdrücklich willkommen. Ohne Bezug auf eine metrische Gliederung unterschiedlicher Gewichtungen verwandelt sich Rhythmus in eine ungestalte, kaum erfassbare Abfolge von Dauern.
Halbherzige Andeutungen des Rhythmischen wie durchlaufende Notenwerte sind kein würdiger Ersatz für die vielfältigen Möglichkeiten der Zeitstrukturierung. Auch wörtliche Wiederholungen (Loops) können ein differenziert eingesetztes Mittel zur Strukturbildung sein.
VERBOTE
1. Auch wenn wir davon ausgehen, dass anspruchsvolle Musik auch geschmacksbildende Aspekte besitzt: offensichtliche pädagogische Ambition vergewaltigt den Kunstbegriff; der Wunsch zu belehren steht der Entfaltung von Kunst immer im Wege.
2. Das notorische Vermeiden einer musikalischen Fragestellung ist gleichbedeutend mit dem Leugnen des Problems und trägt ebensowenig zu dessen Lösung bei, wie der unreflektierte Rückgriff auf Vergangenes.
3. Ideologisch motivierte oder begründete ästhetische Verbote sind bestenfalls Gesprächsstoff.
SCHLUSSBEMERKUNG
SKART betrachtet sich als musikalische Produzentengalerie — als Initiator von Produzentenkonzerten. Deshalb werden bei künftigen Projekten weitere Komponisten zur Zusammenarbeit eingeladen.