vorheriges werk nächstes werk



ambient music

für Flügelhorn, Elektrogitarre, Posaune, Zuspiel und Live-Elektronik   1994/95   Besetzung: Flhrn.EGit.Pos +Tontechnik   ~20’

 

 

text

 


Wie das chronologisch vorangegangene Stück Gullinkambi entstand auch ambient music in New York und Princeton. Das Ensemble der Uraufführung, für welches das Stück geschrieben wurde, ist das Jazztrio triaxum. Die präzise auskomponierte erste Hälfte des Stückes wird im Konzert live aufgenommen (exklusive des Zuspiels). Im auf jene ohne Zäsur folgenden zweiten Teil improvisieren die Musiker zu eben dieser Aufnahme (und einem dann veränderten Zuspiel) mit wenigen Vorgaben zu Tonhöhen und Charakter.

 

Der Programmhefttext zur Uraufführung (1995):

 

Kein seriöser Verleger käme auf die Idee, einen Schriftsteller zu bitten, ein Vorwort zur Erstausgabe seines neuen Romans zu schreiben - Komponisten werden immer um Texte gebeten. Weil ich aber denen die ohnehin gern ein wenig lesen beim Musikhören entgegenkommen möchte, sind jedem Programmheft zwei Artikel aus Tageszeitungen des heutigen Tages, die ich recht spannend finde, beigelegt.

 

 

 

 


Kompositionsstipendium des Berliner Senats
Uraufführung: 3.5.1995, Berlin (Konzerthaus); triaxum (P. Schwingenschlögl | B. Wrede | M. Boukouya)

 

Stephan Winkler: ambient music (Skala)

 

 

Aus den VORBEMERKUNGEN der Partitur:

 

Die Elektrogitarre benötigt einen Kofferverstärker und einen Kapodaster. Das Flügelhorn benötigt harmon mute und plunge-Dämpfer, die Posaune nur einen harmon mute.

Dieses Stück ist als Musik für ein Café oder Club mit an Tischen sitzenden Gästen und um sie plazierten Musikern und Boxen konzipiert. Der Ausschank und Genuß von Getränken während der Aufführung ist durchaus erwünscht.
Die Aufstellung möge so oder ähnlich erfolgen:

 

Stephan Winkler: ambient music (Position und Tontechnik)

(Das Bild zeigt den Signalfluß im ersten Abschnitt.

Im zweiten sind M1-3 ab-, dafür M4 angeschaltet — die drei Kanäle des Vierspurtonbandes werden nun über die gleichnamigen des Mixers an die jeweiligen Boxen gesendet.

IN6 soll dann auf allen drei OUTs liegen.)

 

 

Das Stück besteht aus zwei ineinander übergehenden Teilen.

 

Der erste Abschnitt ist etwa elf Minuten lang und basiert auf dem Spiel der präzise ausnotierten Partitur zum vorproduzierten Tonband. In ihm soll jedes der Instrumente durch eine gegenüberliegende Box verstärkt werden (siehe Skizze) und zwar mit einem ganz geringen Delay und einem leichten Pitch-shifting (wenige Cents abwärts) — das Delay sollte gerade so lang sein, dass beispielsweise jemand, der direkt vor der “Posaunenbox” sitzt, das Originalsignal der Posaune und dessen Verstärkung exakt zur selben Zeit empfängt. Die Kanäle des stereophonen Zuspielbandes sollen so auf die drei Boxen verteilt werden, dass Box 1 und 2 je einen Kanal, Box 3 beide empfängt (siehe ebenfalls Skizze).

Dieser Abschnitt wird während der Aufführung bis einschließlich Takt 67 auf Band mitgeschnitten (geringfügig mehr als acht Minuten), und zwar in drei separaten Spuren (jeweils dasselbe Signal, das auch aus der jeweiligen Box erklang); nach Takt 67 wird das Mitschneiden gestoppt und das Band zurückgefahren, wogegen das Zuspielband weiterläuft.

 

Der zweite Teil schließt sich ohne jede Unterbrechung an den vorangegangenen an, beginnt also unmittelbar nach Takt 103. In diesem Abschnitt fungiert das im ersten aufgenommene Band als Zuspiel — es enthält die beiden Spuren des Zuspielbandes in der Verteilung, in der sie im ersten Teil zu hören waren und die Aufnahme des Spiels der Musiker im ersten Teil.

Mit Beginn des zweiten Teils sollen die Mikrophone 1-3 ausgeschaltet werden (somit auch Delay und Pitch-shifting). Desweiteren wird mit Beginn des zweiten Abschnitts ein viertes Mikrophon (M4) aktiviert, das (über ein Pegelmesser-Schwellenwertschalter-Modul) einen Sampler ansteuert. Diese Schaltung löst bei Unterschreiten einer gewissen Lautstärke ein auf allen drei Boxen erklingendes ”Warnsignal” aus, das die Musiker auffordert, lauter, bzw. dichtere Strukturen zu spielen. (Nebenbei bemerkt, rekurriert die damit geschaffene leichte Drucksituation auf meine eigenen, oft vergeblichen Versuche während des Schreiben dieses Stückes, mich in einer zum Teil von ungeheuerlicher Lärmbelästigung geprägten Gegend auf mein Stück zu konzentrieren.)

Die Idee dieses zweiten Teils besteht darin, dass die Musiker vor dem Hintergrund ihres eigenen Spiels improvisieren, dass sich die Musiker in einer Landschaft bewegen, die sie, wie ich annehme: für alle Zuhörer erkennbar, zuvor selbst erschaffen haben, dass sie unterstreichen, wiederholen, kommentieren oder bezweifeln, was sie zuvor geäußert haben, dass sie gewissermaßen umfangen sind von ihrer etwas weniger selbstbestimmten Vergangenheit, während sie Neues und Eigenes ersinnen — bis sie, nach Erreichen des Taktes 171 (ursprünglich Takt 67), schließlich den wieder ausnotierten Schlusstakt spielen.

 

Stephan Winkler: ambient music (Akkordsequenz)

 

Der erste Abschnitt besteht, was die Tonhöhenorganisation betrifft, aus einer Sequenz von 47 Akkorden. Über dem (tape)-System sind im zweiten Abschnitt Kästen notiert, die die für das jeweilige Instrument erreichbaren Akkordtöne angegeben. Von den 47 Akkorden sind bis zum Takt 67 genau 29 erklungen, drei davon allerdings so kurz, dass sie als Improvisationsgrundlage entfallen müssen. Das im ersten Teil aufgenommene Band stoppt mit dem Ende des Taktes 171, so dass der Schlusstakt der einzige des Stückes ist, in dem die Musiker unbegleitet spielen.

 

 

 

 

 

 

Zwei Partiturseiten:


Stephan Winkler: ambient music (Partitur S. 1)   Stephan Winkler: ambient music (Partitur S. 1)