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für zwei Flügel

  2006-09  

Besetzung: 2Pf

   ~23'

(aus:

fünf Ritardandi für zwei Pianisten an drei Instrumenten)

 

text

 

 

Aus dem Programmhefttext zur Uraufführung der ersten Fassung von Anästhesie I (2008):

 

Anästhesie I ist das erste von fünf Stücken eines abendfüllenden Zyklus’ für zwei Pianisten an zwei Flügeln und einem Keyboard. Er wird Stücke für zwei Klaviere, für Klavier und Keyboard sowie je eines für vierhändiges Klavier bzw. Keyboard umfassen.

Zwei denkbar verschiedenen Inseln entstammen Inspirationen, die für Anästhesie I von Bedeutung waren: der Aspekt des Tempos in höfischer javanischer Musik sowie die Sprachaufnahme eines Dialogs aus einem isländischen Märchen. Zur  ersten der genannten Anregungen soll an anderer Stelle Näheres gesagt werden. Zum isländischen Dialog hier nur so viel: bei einem (bedauerlicherweise recht erfolglosen) Versuch, die isländische Sprache zu erlernen, stieß ich auf einen Dialog auf einer alten Sprachkassette, dessen eigentümliche Phonetik mich sofort in ihren Bann schlug. Immer wieder wollte dieser Disput zwischen einem jungen Mädchen und dem "Hausgeist" des Gehöfts angehört werden. In einem Versuch diesen Bann zu brechen, wurde der Dialog penibel in Notenschrift fixiert und fand schließlich seinen Weg in dieses Werk.

 

 

Das erwähnte isländische Märchen wird (in einer der vielen Versionen) wie folgt erzählt:

 

Es war einmal vor langer Zeit, dass auf einer Farm jene Person, die Weihnachten daheim blieb, um den Hof zu bewachen, während die andern in die Kirche zur Christvesper gingen, am nächsten Morgen entweder tot oder verrückt angetroffen wurde. Dies ängstigte die Bewohner natürlich sehr und so war es nicht verwunderlich, dass niemand derjenige sein mochte, der in der Weihnachtsnacht zurückbliebe. Nun geschah es in einem Jahr, dass eine schwangere junge Frau sich freiwillig dazu bereit erklärte. Die andern waren erleichtert und gingen zur Kirche. Das Mädchen saß allein in der Stube, sang und trug dem Kind in seinem Bauche Gedichte vor.

 

Plötzlich, mitten in der Nacht, sprach es vom Fenster:

 

 

"Fögur þykir mér hönd þín,

snör mín en snarpa, og dillidó."

     "Hún hefur aldrei saur sópað,

     ári minn Kári, og korriró."

"Fagurt þykir mér auga þitt,

snör mín en snarpa, og dillidó."

     "Aldrei hefur það illt séð,

     ári minn Kári, og korriró."

"Fagur þykir mér fótur þinn,

snör mín en snarpa, og dillidó."

     "Aldrei hefur hann saur troðið,

     ári minn Kári, og korriró."

"Dagur er í austri,

snör mín en snarpa, og dillidó."

     "Stattu og vertu að steini

     en engum þó að meini,

     ári minn Kári, og korriró."

 

Schön scheint mir deine Hand zu sein,

Fräulein, mein kühles, und didlido.

     Niemals hat sie je Schmutz gefegt,

     Kauri, mein Dausi, und korriro.

Schön stell ich mir auch dein Auge vor,

Fräulein, mein kühles, und didlido.

     Niemals hat es je Übles gesehn,

     Kauri, mein Dausi, und korriro.

Schön, denk ich mir, wird Dein Fuß auch sein,

Fräulein, mein kühles, und didlido.

     Niemals ist er gelaufen durch Schmutz,

     Kauri, mein Dausi, und korriro.

Es tagt schon im Osten,

Fräulein, mein kühles, und didlido.

     Steh still und werde zu Stein,

     Von Harm sollst Du niemandem sein!

     Kauri, mein Dausi, und korriro.

 

Daraufhin verschwand das Wesen vom Fenster. Als die anderen aber heimkamen, entdeckten sie einen Felsen, der vor der Farm lag. Und dort liegt er bis heute.

 

Das Mädchen erzählte den Heimkehrenden, was es erlebt und gehört hatte. Gesehen aber hatte es nichts – denn es hatte nie zum Fenster geschaut während des ganzen Geschehens.

 

(Für detaillierte fachliche Beratung zum Isländischen danke ich Herrn Jón-Bjarni Atlason.)