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für sechs Saxophone

(mit Video von Jesko Marx ad lib.)

  1999/2000  

Besetzung: 6 Saxophonisten

ZIG : 1:S/A; 2:A/T; 3:T/Br

ZAG : 4:A/T; 5:T/Br; 6:Br/Bs

+Tontechnik [DETAILS]

   ~20'
             

  2000:


   

  2002:


   

 

 

 

 

 

Der gesamte erste Satz von zigzag beruht auf dem bereits erwähnten Prinzip eines unaufhörlichenen Wechsels zwischen rechter (ZIG) und linker (ZAG) Gruppe. Jede Gruppe spielt jeweils genau ein Achtel (d.h. einen dreitönigen Akkord), die andere das nächste usw. Man könnte fast von einem dreistimmigen Satz, der in "Scheiben" geschnitten und wechselseitig auf beide Gruppen verteilt wurde, sprechen. Unter dieser Oberfläche der einfachster Periodizität (LRLRLRLR…) wirken allerdings einige andere form- und dramaturgiebildende Prozesse, über die noch zu reden sein wird. Für den Hörer besonders auffällig ist die Tatsache, dass das Tempo des Pulses in diesem Satz permanent schwankt — manchmal nur geringfügig, stellenweise aber in extremem Maße.

 

Formal könnte man diesen Satz in drei Abschnitte gliedern, die von einer kurzen Eröffnung und einer ähnlich knappen Überleitung zum zweiten Satz eingerahmt werden. Der erste Hauptteil ist (obwohl immer nur drei Töne gleichzeitig hörbar sind) siebenstimmig. In Takt 166 beginnen sich die sieben Stimmen allmählich ineinander zu schieben. Am Ende dieses Prozesses bleiben zwei Stimmen übrig (jeweils unverändert zwischen zwei Instrumenten pendelnd). Weitere 100 Takte später haben sich auch diese beiden Stimmen einander so angenähert, dass sie zu einer einzigen verschmelzen.

 

 

In der siebentaktigen Introduktion wird zuerst der das Stück dominierende siebentönige Symmetrische Akkord in seiner ursprünglichen Gestalt [Verschiebung I] entfaltet.

 

Nach dieser Eröffnung beginnt mit dem Anfang des ersten Hauptteils das oben beschriebene Hin-und-Her zwischen Links und Rechts, das von nun an bis zum Ende des Satzes beibehalten wird.

Für diesen ersten Abschnitt des Satzes schwebte mir eine zunächst rasche Folge dreitöniger Akkorde vor, deren insgesamt sieben verschiedenen Töne möglichst gleich häufig auftreten sollten, so dass als Gesamteindruck ein siebentöniger Akkord entstehen würde, dessen Töne nach nicht sofort durchhörbarem Muster repetiert werden und doch alle etwa gleich präsent sind.

 

Zunächst ermittelte ich also die Zahl der möglichen Kombinationen von 7 Elementen zur Klasse 3, beziehungsweise — als konkrete musikalische Problemstellung formuliert — die Antwort auf die Frage, wieviele Möglichkeiten es gibt, nichtidentische Dreiklänge aus dem Tonvorrat eines siebentönigen Akkords zu bilden. Nachfolgend die Liste der 35 verschiedenen dreitönigen, aus einem siebentönigen Vorrat gebildeten Akkorde:

 

Die 35 Kombinationen von 7 Elementen zur Klasse 3

 

Anschließend begann ich meine Suche nach den Möglichkeiten aus diesen 35 Dreiklängen eine Folge zu ermitteln, die dem eingangs genannten Ziel, alle 7 Töne in möglichst gleicher Häufigkeit und gleichmäßiger Verteilung zu pärsentieren, so nahe wie möglich kommt.

 

Zu diesem Zweck wurden zunächst zwei Regeln aufgestellt: 1. der zweite Dreiklang soll keinen der Töne des ersten enthalten; der dritte Dreiklang muss den in den vorangegangenen beiden Dreiklängen fehlenden Ton enthalten:

1234567

Daraus folgt, dass der dritte Akkord genau zwei der drei Töne des ersten Akkords enthält und der vierte Akkord den dritten. Dieses Gesetz zu den ersten drei Akkorden wird nun beibehalten und auf die Akkorde 2-4 angewandt usw.

 

Die Zahl der möglichen Lösungen wurde durch zwei weitere (musikalisch wünschenswerte, aber die mathematische Problemstellung beträchtlich verkomplizierende) Konditionen eingegrenzt:

• die gesuchte Kette (Akkordfolge) sollte möglichst viele der 35 möglichen Dreitongruppen verwenden, aber aus einer Primzahl von Elementen bestehen (also 29 oder 31), um — wiederum musikalisch ausgedrückt —  jeden Eindruck einer der rhythmisch ungewichteten Akkordrepetition übergeordneten metrischen Periodik (Puls) zu vermeiden;

• die gesuchte Kette sollte rekursiv sein, d.h. die Folge sollte ohne Regelbruch in ihren Anfang überführt werden können.

 

Schließlich gelang es mir mit Hilfe des Mathematikers Martin Byrdin eine Lösung für das vertrackte Problem zu finden. Dies ist das Resultat — das 29er Permutationsloop (genauer: ein Zyklus aus 29 Kombinationen von 7 Elementen zur Klasse 3 ohne Wiederholung):

 

Stephan Winkler: zigzag (29er Permutationsloop)

 

 

Oder tatsächlich als Zyklus im Wortsinne dargestellt:

 

Stephan Winkler: zigzag (29er Permutationsloop als Zyklus)

 

Die Häufigkeit des Auftretens jedes der sieben Elemente variiert zwar zwischen 10- und 14mal pro Zyklus, aber diese Lösung kommt der Intention dennoch nahe genug, da sie alle andern Bedingungen perfekt erfüllt.

 

Häufigkeit

 

 

Der Grundidee des Satzes (und in variierter Form des ganzen Stückes) entsprechend, wurde die Dreitonakkordfolge (das "29er Permutationsloop") wechselseitig auf beide Dreiergruppen des Ensembles verteilt. Durch die ungerade Zahl von Elementen des Loops ist die Verteilung der Dreiergruppen im zweiten Zyklus genau umgekehrt als im ersten:

 

Stephan Winkler: zigzag (Die Verteilung des 29erPermutationsloops auf Zig und Zag)

(Die eingerahmten Dreiergruppen werden von ZIG gespielt, die nicht gerahmten von ZAG.)

 

Wegen der oben dargestellten Verschiedenheit in der Anzahl des Auftretens der 7 Elemente des Loops wurden die sieben Ziffern auf folgende Weise den Akkordtönen zugewiesen:

 

Ziffern zu Akkortönen

 

Die eigentliche Verteilung der Akkordtöne auf die Instrumente innerhalb der Gruppen sorgt für ständige Variation in den Klangfarben, in denen ein und der selbe Ton bei jeder Wiederkehr erklingt:

 

Stephan Winkler: zigzag (instrumentale Verteilung der Akkordtöne innerhalb der Gruppen)

(Dieses Verteilungsmuster bleibt ungeachtet der Akkordwechsel bis Takt 133 unverändert.)

 

Nachdem dieser Akkord durch seine fast schon manische Unbeweglichkeit die Konzentration für insgesamt 373 Achtel ganz auf die Gestalt des Anfangsakkords und eine spürbare, wenn auch nicht benennbare Periodizität lenkte, beginnt — zuerst nur angedeutet, später ausgeführt — eine kurze Linie aus dem Akkord zu wachsen, indem einzelne seiner Töne länger gehalten werden. Diese (zuletzt aufsteigende) Linie reißt durch ein "Überschreiten" der Obergrenze des Akkords [I] um eine Skalenstufe, auf welches die andern Akkordtöne allmählich nachfolgen, den Anfangsakkord um eine Verschiebung aufwärts [II]. Weitere 83 Achtel später sinkt der Akkord unvermittelt zu einem dritten Akkord zurück [XI], der eine Stufe unter dem Anfangsakkord liegt, und die Bewegung wird scharf abgebremst. So gerät das Geschehen allmählich auch in eine vertikale Bewegung. Die Wechsel der Verschiebungen (alles bleibt zunächst in der 1. Transposition) erfolgt immer abwechselnd entweder in mehrstufigen Übergängen (wie beim ersten Mal) bzw. in einem deutlichen Schritt (wie beim zweiten):

 

 

Stephan Winkler: zigzag (1. Satz: Anfangsakkordsequenz)

 

 

Nach dem Wiedererreichen des Anfangsakkords mit dem Ende der abgebildeten Sequenz löst eine plötzlich eintretende Pause eine Erschütterung mit weitreichenden Folgen aus. Ab Takt 159 beginnt der siebentönige Akkord (zunächst noch im regelmäßigem Abstand von jeweils 11 Achteln) um  eine Stufe auf- und abwärts zu schwanken (I - II - I - XI), bevor sich er ab Takt 166 — in zunehmender Frequenz (29, 23, 19, 17, 13, 11) und verdeutlicht durch drastische Crescendi — bis zum Erreichen der Dreistimmigkeit zusammenzuziehen beginnt. Wie vor der Kontraktion der Anfangsakkord schwankt dieser Dreiklang nun in weiter abnehmenden Abständen (7, 5, 3, 2) um die I. Verschiebung, um sich in der Mitte des Taktes 186 endgültig in drei Linien aufzulösen, deren mittlere jedoch schon bald darauf erstirbt.

 

Im zweiten Abschnitt des Satzes irren zwei scheinbar ziellos und voneinander unabhängige lineare Subjekte durch den Tonraum, dabei durchaus gelegentlich aneinader vorbeijagend. Unverändert bleibt auch in diesem quasi zweistimmigen Teil das Konzept, dass das gesamte musikalische Geschehen in Achtel "gerastert" und beide Linien in ständigem Wechsel auf je zwei Instrumente verteilt sind. Das ständige Rechts-Links bleibt also erhalten, auch wenn es (wie schon im ersten Teil) sowohl von starken Temposchwankungen als auch von ständigen graduellen Veränderungen der absoluten Tonlängen (also quasi der Artikulation) belebt wird. Wie nebenbei gelingen beiden Stimmen gelegentlich Anspielungen und Zitate aus dem ersten Teil. So wird etwa (in stark diminuierten Dauern und einstimmig) die gesamte oben abgebildete Akkodsequenz zitiert (T. 203ff.). Jene die Akkordbewegungen überhaupt ausgelöst habende (gegen Ende aufsteigende) Linie von der Mitte des ersten Teils spielt auch am Ende dieses zweiten wieder eine Rolle als Agens des strukturellen Wandels: in Takt 264 vereinen sich die beiden Stimmen zu einer Brechung des Anfangsakkordes, aus welcher schließlich nur noch eine einzelne Linie hervorgeht.

 

Der letzte der drei Abschnitte des Eröffnungssatzes von zigzag ist tatsächlich einstimmig — eine kompositorische Aufgabe, der ich mich bis dahin geflissentlich entzogen hatte, die mich hier aber überaus reizte. Dieser aus einem leidenschaftlichen Duktus über zunehmende Trostlosigkeit in völlige Verzagtheit führende Teil mündet in eine starre Wiederkehr des Rahmenintervalls jenes Dreiklangs, mit dem der Satz begonnen hatte (in konventioneller, auf siebenstufige Leitern bezogener Benennung eine große None).

Nach einer kurzen, aber heftigen Beschleunigung, in welcher beide Stimmen ihre Positionen tauschen, erklingt für 29 Achtel in geringstmöglicher Lautstärke und in ähnlicher Weise permutiert wie der erste Teil des Satzes (und gewissermaßen als wehmütig-euphorische Reminiszenz an diesen) der das Stück eröffnet habende Dreiklang. Er besteht aus dem tiefsten, dem zweittiefsten sowie dem Achsenton des Hauptakkords (A, e & h).

 

Auf das behutsamste unterbrochen wird dieses Akkordfunkeln durch den Wiedereinsatz des zuvor lange pausiert habenden Sopransaxophons von ZIG.

Unbeirrbar von einem abwärts sinkend absterbenden (und systemsprengend chromatischen) letzten Einwurf des restlichen verbliebenen Ensembles, hält es in äußerstem Piano den Ton b — einen Halbton tiefer als der Achsenton der 1. Transposition (in welchem der komplette erste Satz stand und der dritte wieder stehen wird), leitet dieser sehr lange und ausdruckslos gehaltene Ton zum zweiten Satz über.

 

 

 

 

Das Erscheinungsbild des zweiten Satzes kontrastiert mit dem des ersten Satzes in vieler Hinsicht. Am auffälligsten ist sicherlich, dass er mit einer klaren Hierarchisierung beginnt: Saxophon 1 (das Sopransaxophon von ZIG) konzertiert solistisch über einem begleitenden Ensemble aus drei Saxophonen, welches sich rasch zu fünf Instrumenten vervollständigt.

 

Wenden wir uns zunächst dieser dem Solisten gegenübergestellten Ebene zu. Sie ist verantwortlich für die auf metrisch-rhythmischer Ebene im Unterschied zum ersten Satz sehr deutlich periodisch gegliederten Form. Zwar prägten die Tonhöhenorganisation des ersten Satzes ebenfalls zwei miteinander ständig abwechselnde Versionen einer Periode (dort des Permutationsloops). War das musikalische Interesse dort eher darauf gerichtet, die unterschwellige Periodizität zu verschleiern, indem sie auf ein Parameter beschränkt blieb, findet diese Form zyklischer Repetition im zweiten Satz auf der metrisch-rhytmischen Ebene statt und wird klar markiert: die Perioden bestehen aus jeweils vier Takten — drei 4/4-Takten sowie einem unregelmäßigen. Dieser unregelmäßige Takt ist abwechselnd 19 Sechzehntel (3/4 + 7/16) oder 17 Sechzehntel (3/4 + 5/16) lang:

 

Stephan Winkler: zigzag (2. Satz: Puls)

 

Der erste Wiederbeginn der metrischen Periode in Takt 5 wird obendrein dadurch besonders hervorgehoben, dass in den letzten drei Sechzehnteln des vorangehenden Zäsurtakts die Begleitung pausiert.

 

Strukturell besteht der Ensemblesatz aus einem sich beim Beginn der 5. Periode vervollständigenden, fünfstimmigen und hocquetusartig verschachtelten Gewebe aus Geräuschklängen und verschieden lang gehaltenen Tönen, während ihre Mittelstimme (kurz vor Beginn der 3. Periode einsetzend) den Zentralton des Satzes in Sechzehnteln pulsieren lässt. Wie schon am Ende der Erläuterungen zum ersten Satz bemerkt, ist der Zentralton dieses Satzes das kleine b (ein Ton, der im ganzen ersten Satz nicht vorkam, weil er nicht Bestandteil der 1. Transposition ist). Die elf Skalentranspositionen, welche das b enthalten, sind die folgenden: die 2., 3., 4., 6., 7., 10., 11., 13., 14., 15. und 17. — wobei das b der Skalenmodusachsenton der letztgenannten ist.

War das harmonische Geschehen des ersten Satzes von den Verschiebungen des Siebentönigen Akkords geprägt, so regieren dieses im zweiten Satz die Verschiebungen des Fünftönigen [AKKORDE].

Wählt man man nun aus jeder dieser Transpositionen jene Akkordverschiebungen, die das b als Mittelton enthalten, aus und reiht diese aneinander, so erhält man folgende Sequenz der Skalentranspositionen:

 

Stephan Winkler: zigzag (2. Satz: Ermittlung der Transpositionsabfolge)

Das bedeutet: die I. Verschiebung (also der Symmetrische Zentralakkord) der 17. Skalentransposition hat das b als Achsenton;

in der 15. Transposition ist es die II. Akkordverschiebung, in deren Mitte das b liegt; in der 14. die III. usw.

 

Durch die um ein Element verschiedene Phasenlänge von harmonischem Loop (11 Akkorde) und metrischer Periode (11 Halbe bzw. Viertel + ein irregulärer Wert = 12 Steps) verschiebt sich der Wiederbeginn des harmonischen Loops in der metrischen Periode immer um einen Step —  es kehrt also immer einen metrischen Step früher wieder als beim letzten Mal:

 

 

Stephan Winkler: zigzag (2. Satz: Anfangsakkordsequenz)

 

 

Diesem beinahe stoischen, stets gefasst bleibenden Gewebe, das trotz aller zunehmenden rhythmischen Bewegtheit immer nur um die selben Töne kreist, ist der Solist gegenübergestellt.

 

Geboren aus der zur Einstimmigkeit komprimierten Linearität am Ende des ersten Satzes, hatte der Solist mit seinem langgehaltenen b in den zweiten Satz geführt, dessen Beginn er mit einem dreimaligen Aufwärtssprung von diesem Ton aus markiert. Das Intervall dieser drei Sprünge ist das 17 Halbtöne große Intervall (konventionell: eine reine Undezime) — das Referenzintervall der zigzag zugrundeliegenden Skala. Für zwei Perioden ist der Solist zunächst damit beschäftigt, sich mit tastenden und etwas gequälten Sprechversuchen aus seiner Lähmung zu lösen. Über wehmütiges Schluchzen, klagendes Selbstgespräch und nostalgisches Schwärmen entwickelt sich seine Ausdrucksskala allmählich in Richtung flammenden Zorns und haltloser Verzweiflung, dabei den Ambitus immer weiter vergrößernd. Zwar wird auch das begleitende Klanggeflecht immer dichter (und auch etwas lauter), dennoch steht die zunehmend exaltierte, ja beinahe unkontrolliert heftige Expressivität des Solisten in krassem Gegensatz zu der unerschütterlichen Disziplin des begleitenden Ensembles. Auf der kompositorischen Ebene sind beide Schichten dennoch enger aneinander gebunden, als es den Anschein hat: der Solist folgt bei der Wahl seiner Töne exakt dem von der Begleitung vorgegebenen Schema der Skalentranspositionsverwendung.

 

Dass das vom Solisten verkörperte musikalische Subjekt bei aller Intensität des Vortrags dennoch stets um die Fähigkeit zu selbstironischer Distanz bemüht ist, illustriert die am Ende jeder Periode stehende Wiederholung des großen Aufwärtssprungs, mit dem der Satz begonnen hatte und dessen Ausdrucksspektrum von Leichtherzigkeit zu bitterem Sarkasmus reicht. An dem oben abgebildeten Auszug des Satzbeginns erkennt man die Tatsache, dass durch die erwähnte Phasenverschiebung der Loops jede Periode mit einer tieferen der elf verwendeten Skalentranspositionen endet als die vorige.

 

War der Solist in der zehnten Periode auf den Gipfel seiner Raserei gelangt, ringt er in der elften taumelnd um Luft und ermattet zusehends, während sich das gesamte Ensemble allmählich dem Saxophon 4 annähert, welches seit seinem Einsatz kurz vor der dritten Periode den Zentralton in weichem Tremolo pulsieren ließ. In der 11. Periode, der letzten dieses Abschnitts, wechseln nun nach und nach auch die andern vier Saxophone des Ensembles von ihrem Geräuschgeflecht zum Pulsieren eines der fünf Akkordtöne, so dass am Ende der Periode der gesamte fünftönige Akkord zu schwingen beginnt.

 

Nach einem letzten kommentierenden Undezimensprung des Solisten beginnt die 12. Periode, welche den Übergang zum zweiten Abschnitts dieses Satzes markiert. Sie entspricht in ihrer harmonisch-metrischen Struktur wieder der ersten Periode, allerdings kehren sich nun die Vorzeichen um und der Solist begleitet gewissermaßen das Ensemble der restlichen fünf. In deren Sechzehntelpuls flechten sich zunehmend leichte rhythmische Verschiebungen ein, welche die Rechts-Links-Gruppierung der Ecksätze andeuten. Es ist nun auch das Ensemble, welches zum letzten Mal den aufwärts springenden Einwurf spielt (wiederum in der 17., der zentralen Transposition des Satzes).

 

In Takt 49 beginnt die 13. Periode, welche das oben abgebildete harmonische Loop endgültig aufgibt. Über dem die drei 4/4-Takte lang gehaltenen Zentralakkord [I] des 17. Modus' tritt der Solist ein letztes Mal hervor, nun vom Ensemble getragen, eine weit ausgreifende kantable Linie vortragend. Im letzten Takt sinkt das gesamte Ensemble Verschiebung um Verschiebung die 17. Skalentransposition hinab, bis es den Achsenton der nächsten Periode erreicht. Diese (Takt 53ff.) steht in der 9. Transposition, der ersten jener Transpositionen, welche im bisherigen Verlauf des Satzes fehlten und die nun nachgereicht werden. Diese Periode (die 14.) ist auch die erste, in welcher der Solist vollständig mit dem Ensemble verschmilzt und die eine homophone fünfstimmig akkordische Wiederholung der melodischen Linie der vorangegangenen Periode darstellt. Ab diesem Punkt verlängert sich auch Schritt für Schritt die Pause am Ende jeder Periode, ohne dass die letztere selbst verlängert würden — also durch Verkürzung des eigentlichen Periodeninhalts. Die 15. Periode (Takt 57ff.) schreitet, jetzt heftig (wenn auch nicht so gleichmäßig wie in den Ecksätzen) lrechts-links-pulsierend, die Akkordverschiebungen in der 8. Transposition ab: I, XI, X, IX, VIII, VII, VI, V, IV, III, II, I. Noch einmal erklingt in der drittletzten Periode, diesmal zart vibrierend, die kantable Linie als fünfstimmiger Parallelsatz in der 12. Skalentransposition.

 

Die 17. Periode (5. Transposition) offeriert eine doppelte Reminiszenz: zum einen kehrt das fünfstimmige, nun aber das Sopransaxophon mit einschließende Ensemble zu dem Geräusch- und Einzeltonhocquetus des Anfangs zurück, zum andern aber erklingen nicht nur die Töne des harmonischen Loops, sondern es irrlichtert auch ein transponiertes Zitat der ersten zaghaften Linienbildung des ersten Satzes durch das Ensemblegewebe.

 

In filigraner Zartheit endet der Satz. Die abschließende Periode steht in der letzten noch fehlenden Transposition, der 16., und trägt eine letzte Variation der für diesen Satz so bedeutsamen kantablen Linie vor. Diesmal werden die Akkorde nur noch am Anfang und Ende jedes Melodietons angedeutet. Aus dem jeweiligen fünfstimmigen Anfangsakkord fallen die Stimmen sofort zusammen in ein regelmäßig alternierendes Pulsieren des Akkordmitteltons. Die Natur meines musikalischen Materials legt es grundsätzlich nahe, den zentralen Ton jedes Akkords als Hauptnote zu verstehen. Am äußersten Ende jedes Tons der Linie, die (wie stets zuvor) auch hier im gleichen Rhythmus dargeboten wird, fächert sich der Akkord erneut kurz auf — aber nur, um in den nächsten zu leiten, der sofort wieder in den vibrierenden Mittelton zusammenfällt usw. Der sich nun wieder immer deutlicher etablierende alternierende Sechzehntelpuls entspricht bereits dem Tempo der Achtel des letzten Satzes.

In den letzten 13 Sechzehnteln der 18. Periode bleibt, während das restliche Ensemble die nunmehr so weit ausgedehnte Periodenschlusspause ausführt, ein sehr leises d'' hängen: Achsenton der in dieser letzten Periode des zweiten Satzes verwendeten 16. Skalentransposition.

 

Ein letzter Takt (73) beschließt den Satz mit einer vorwegnehmenden Überleitung: die jeweils höchsten (und innen stehenden) Saxophone beider Gruppen deuten die metrische Struktur des folgenden Satzes an, wechselseitig den Skalenachsenton der 16. (d'') und e' verwendend.

 

 

 

 

 

 

Der dritte und kürzeste Satz von zigzag nimmt unverkennbar Bezug auf den ersten: auch er beginnt mit einer Introduktion eines sich aufbauenden Akkords, allerdings ist von Beginn an auch ein (am Ende des zweiten Satzes schon einmal angedeuteter) Puls präsent.

 

Dies unterscheidet den Satz vor allem andern vom ersten: er macht dessen 29er Permutationsloop rhythmisch-metrisch erfahrbar. Wie im ersten Satz spielen beide Dreiergruppen stets im Achtelabstand alternierend, doch sind im dritten Satz diese Achtel in Dynamik und Artikulation ungleich gewichtet. So ergibt sich ein — wenn auch nicht konventionelles — Metrum. Dessen größte Einheit (Fünftaktgruppe) besteht aus den 29 Achteln eines Permutationsloops. Die nächste Gewichtungsebene (Takt) gliedert diese 29 in 5+5+5+7+7, während die Betonungen auf der darunterliegenden Ebene ("Viertel") in das Schema 2+3 | 2+3 | 2+3 | 2+2+3 | 2+2+3 gegliedert sind. Wie schon im ersten Satz angemerkt, tauscht sich die Verteilung nach einem Zyklus um (und in diesem Satz folgerichtig auch die Verteilung der Betonungen), so dass jeweils zwei aufeinanderfolgende Zyklen eine übergeordnete metrische Einheit bilden.

 

Nachfolgende Darstellung zeigt den Doppelzyklus jenes metrischen Loops, das den dritten Satz von zigzag über fast zwei Drittel seiner Länge dominiert.

 

Stephan Winkler: zigzag (3. Satz, Puls1)

 

 

Auch auf harmonischer Ebene ist der Schlusssatz von zigzag äußerst klar strukturiert. Zunächst etabliert das Ensemble in federndem piano (und unter Verwendung des gleichen Ordnungs- und Verteilungsprinzips wie im ersten Satz) den siebentönigen, symmetrischen Hauptakkord beider Ecksätze. Lediglich die Tonverteilung innerhalb jeder der beiden Gruppen wurde dahingehend vereinfacht, dass die jeweiligen Akkordtöne den Instrumenten ihrer Höhe entsprechend zugewiesen wurden — eine besonders im Hinblick auf die Art der harmonischen Progression im weiteren Verlauf des Satzes sinnfällige Vereinfachung. Trotz der nun völlig veränderten Intrumentation (S|A|T • T|Bar|Bass; s. [DARSTELLUNG]) enthält der Text jeder der beiden Gruppen alle sieben Akkordtöne. Für sieben Perioden bleibt dieser Ausgangsakkord [I. Verschiebung] unverändert, wird die Aufmerksamkeit ganz auf die verschachtelte zyklische Periodizität gelenkt.

 

 

Stephan Winkler: zigzag (3. Satz, Harmonik)

 

 

Nach einer auffälligen Zäsur beginnt das schrittweise harmonische "Auseinanderlaufen" beider Gruppen, findet eine Trennung beider Gruppen auf der Ebene der Tonhöhen statt — freilich ohne, dass das Verteilungsmuster selbst geändert würde.

 

Von hier an schreiten die von ZIG gespielten siebentönigen Akkorde stufenweise die Skala hinauf — und jene von ZAG in gleicher Weise hinunter. ZIG wechselt also zunächst von der I. Verschiebung zur II., ZAG eine Stufe abwärts zur XI., wobei die Dynamik leicht angehoben wird: ab hier wird findet ein sehr allmähliches, und (abgesehen von gelegentlichen Einwürfen und kurzen Pausen) erst kurz vor dem Höhepunkt  unterbrochenes Crescendo statt.

 

Nach drei Perioden des Gegenüberstehens der II. und XI. Verschiebung schreiten beide Gruppen je eine Stufe weiter in der ihr zugeordneten Richtung: ZIG zur III., ZAG zur X. Verschiebung. Die drei Perioden dieser Konstellation werden für sieben Sechzehntel von einem legato dahinhuschenden Zitat des Anfangsakkords unterbrochen. Für die nachfolgenden Schritte bleiben jeweils nur noch zwei Perioden:ZIG zur IV., ZAG zur IX. Verschiebung (erster Schritt) und ZIG zur V., ZAG zur VIII. (zweiter). Dieser zweite Doppelzyklus setzt noch einmal im piano an — von da aber sehr rasch anschwellend — und stürmt an dessen Ende in einem durch das gesamte Ensemble jagenden Sechzehntellauf den gesamten verwendeten Tonumfang des Ensembles in der 1. Skalentransposition hinauf.

 

Lagen die sieben Akkordtöne zu Beginn des Satzes in den tieferen Registern der hohen Gruppe (ZIG), für die Instrumente der tiefen Gruppe (ZAG) hingegen eher hoch, so bewirkten die nachfolgenden akkordischen Progressionen, dass beide Gruppen beim nun erreichten dynamischen Höhepunkt des Stückes in ihrer "natürlichsten" Lage spielen und die größte Kraft entfalten können. Dieser in heftigen Crescendi und Diminuendi taumelnde Abschnitt variiert nun (ohne Periodenlänge oder eigentliches Metrum zu ändern) die rhythmisch-artikulatorische Gliederung der fünf Takte des Loops. Dabei durchbricht es (relativ unbemerkt) die bis dahin unangetastete streng abwechselnde Rechts-Links-Folge:

 

 

Stephan Winkler: zigzag (3. Satz, Puls2)

 

 

Der Übergang zum neuen Puls (beginnt nach 17 Sekunden):   – die Partiturseite der Stelle finden Sie hier.

 

 

 

Gelegenheit für das Erfassen des neuen rhythmischen Gebildes gebend, bleibt die hier erklingende, aus den zehn Skalenstufen voneinander entfernt liegenden Verschiebungen VI (ZIG) und VII (ZAG) zusammengesetzte Akkordkombination wiederum für sieben 29er-Perioden in ihrer tonalen Zusammensetzung unverändert, beginnt aber bereits in der vierten Periode ganz allmählich an dynamischer Kraft zu verlieren.

 

 

In den verbleibenden Perioden dieser Akkordkombination beginnt unaufhaltsam ein Prozess der Auflösung: dynamisch immer schwächer werdend, verkürzen sich alle Noten immer weiter, bis die vormals kurzen kaum noch hörbar leise und kurz sowie die vormals langen Töne staccati geworden sind. Mitten in diesem Prozess verschieben beide Gruppen ihren Akkord ein letztes Mal um eine Stufe in der ihnen zugeordneten Richtung.

 

Diese Akkordkombination (ZIG: VII und ZAG: VI) bleibt die Grundlage für die letzten 5 Perioden vor der Coda des Stückes, deren vorletzte lediglich die zu Beginn des neuen Patterns betonten Töne bringt, während die vormals leisen nur noch durch ein Klappengeräusch repräsentiert werden. In der letzten Periode fallen auch diese Geräusche weg und die Außenstimmen beider Gruppen (h'' bzw. H') stürzen in diesem Gerippe vormaliger rhythmischer Ausgelassenheiten auf den Zentralton des Stückes zusammen: das h.

 

Nach einer allein aus kurzen Reibegeräuschen bestehenden Coda, welche die Betonungen der beiden den Satz bestimmenden Pulse kombiniert wird das Stück durch ein zweimaliges "Augenzwinkern" mit dem Hauptakkord beschlossen.

 

 

 

 

 

Abschließend will ich noch Folgendes anmerken: rückblickend auf zigzag und ähnliche Werke kann ich konstatieren, dass ich in Zeiten der gravierendsten Krisen offenbar immer ein besonders ausgeprägtes Interesse an clarté entwickelte — einer gedanklichen, formalen und strukturellen Deutlichkeit und Konzentriertheit, deren Gefahren mir selbst allzu bewusst waren, deren Dräuen ich aber als Ansporn verstand.

 

 

 

 

 

Alles Mitteilenswerte über den der Partitur nachgestellten musikalischen Aphorismus finden Sie hier.

 

Stephan Winkler: zigzag (0. dedication)