für zwei Flügel |
2006-09 |
Besetzung: 2Pf |
~23' |
(aus:
fünf Ritardandi für zwei Pianisten an drei Instrumenten)
Den Kern von Anästhesie I bilden 11 verschiedene Teilen (A, B, C … J, K).
Anders als bei früheren Werken, deren Form sich oft über das Verschachteln von Binnenzyklen bildete, beruht jeder der 11 Abschnitte von Anästhesie I auf einer anderen musikalischen Idee. Freilich gibt es alle Arten von Verwandschaften untereinander, doch liegen diese auf jeweils verschiedenen Ebenen: mag Teil A bestimmte Aspekte von Teil E ankündigen, rekurriert letzterer auf andere Merkmale von Teil B und nimmt — auf wiederum anderer Ebene — Elemente des Teil I vorweg, etc.
An diese elfteilige Sequenz schließt sich ein multiples Résumé an (L), das eine proportional exakt diminuierte Reprise alles Vorangegangenen darstellt (La–Lk). Der letzte, zwölfte Teil derselben (Ll) ist wiederum eine maßstabgetreu verkleinerte Version der Reprise — und auch dessen letzter Abschnitt (Lll) resümiert in äquivalenten Proportionen erneut das ganze Stück. (Hierzu mehr weiter unten.)
Anästhesie I wird durch eine (fast beiläufig zu spielende) Tonfolge eröffnet, welche in mehrerer Hinsicht die Keimzelle für das ganze Stück bildet:
Auf der Ebene der Tonhöhenorganisation formuliert sie in ihrem ersten Teil die sieben Stufen eines Segments (modus) der zugrundeliegenden Skala in deren 1. Transposition: ausgehend vom Achsenton (IV. Stufe) schreitet die Figur die beiden Randtöne des Segments ab (VII., I.) um im Folgenden abwechselnd an beiden Enden Stufe für Stufe einwärts zu schreiten: IV – VII – I – II – VI – III – V. Am Ende des zweiten, rückläufigen Teils dieser Eröffnung wird das Referenzintervall der Skala (die große Septime traditioneller Benennung) expliziert — die beiden "Randstufen" I und VII werden in Gegenrichtung ihrer Position vom Achsenton um ein Referenzintervall extrapoliert. Damit ist auch der Ambitus des ersten Akkords der darauf folgenden Akkordsequenz beschrieben.
Aus der komplette Stufenfolge der Eröffnung (IV – VII – I – II – VI – III – V – III – VI – II – I – VII) wurde außerdem die Folge der Dauernproportionen der Teile des Stücks deriviert, wie die nachfolgende Graphik zeigt:
Am deutlichsten ist in dieser Figur natürlich jener Gedanke angesprochen, der — laut Untertitel — in diesem Zyklus musikalisch untersucht werden soll: das Verlangsamen.
An einem Punkt jedoch bleibt die Eröffnung eine Seltenheit im Stück (und insofern auch gut erkennbar bei Wiederauftreten zu Beginn des Résumés): in der Tatsache des abwechselnden solistischen Spiels beider Pianisten. Für den Rest des Stückes sind die Partien beider Spieler unlösbar aneinander gekoppelt und miteinander verzahnt. Fast ausnahmslos wird im Folgenden jede Ebene des musikalischen Geschehens gewissermaßen "in Scheiben geschnitten", welche anschließend abwechselnd auf beide Parts verteilt werden.
Um die Auswahl der verwendeten Skalentranspositionen und Entscheidungen zur Organisation ihrer Abfolge zu treffen, wurde zunächst wieder die Verwandtschaft der einzelnen Transpositionen (im Sinne gemeinsam enthaltener Tonhöhen) untersucht. Die einander am wenigsten ähnelnden Transpositionen sind insofern die interessantesten Sequenznachbarn, als die Veränderung in der Transpositionswahl (konventionell spräche man vom Wechsel in eine andere Tonart) bei ihnen natürlich am deutlichsten ausfällt. Die nachfolgende Graphik verdeutlicht diese bevorzugten Verknüpfungen.
Führen Sie den Mauspfeil über den Stern und Ihnen werden diese bevorzugten Verknüpfungen für jede Transposition angezeigt.
Aus verschiedenen Sequenzmöglichkeiten wurde eine (ausgesprochen einfach algorithmisierte) ausgewählt.
(Auch hier erkennen Sie mehr, wenn Sie den Mauspfeil auf das Bild bewegen.)
Die für Anästhesie I gewählte Reihenfolge der Transpositionen ist folgerichtig diese:
01. | 07. | 02. | 08. | 03. | 09. | 04. | 10. | 05. | 11. | 06. || 01. | 07. etc.
Die einzelnen Transpositionen wurden nun allerdings nicht mechanisch jedem einzelnen Teil des Stückes zugewiesen. Hierfür wurden hingegen "Ligaturen" von Teilen gebildet, denen dann jeweils verschieden viele Skalentranspositionen zugeordnet wurden:
Die ersten vier Teile bilden zwei solche Paare, denen jeweils die gleiche Skalentransposition zugrundeliegt. Die zentralen fünf Teile bringen — in symmetrischer Verteilung — die restliche Transpositionenfolge, sowie einen fast vollständigen zweiten Durchlauf derselben. Die letzten beiden "Stammteile" sind wieder wie die ersten beiden Paare ligiert und verwenden die noch fehlende 06. Transposition, bevor mit Teil L der gesamte Ablauf erneut beginnt.
Teil A ist in drei Abschnitte wachsender zeitlicher Ausdehnung gegliedert. Nach dem ersten Abschnitt, der bereits beschriebenen Eröffnungsfigur, beginnt eine Folge von Akkorden, deren Ambitus sich beständig vergrößert, während sich die Dauer jedes einzelnen Akkords gleichzeitig kontinuierlich verringert. Dem dadurch entstehenden Eindruck der Beschleunigung wirkt allerdings das in mehreren Schüben vor sich gehende, sich über den gesamten Teil erstreckende starke Ritardando entgegen. Der geschilderte expansive Prozess vollzieht sich in zwei Phasen, welche die beiden anderen Abschnitte des Teils bilden.
Mit dem Erreichen des 17. Akkords wird bereits der Beginn des Teils B markiert.
Die Töne der abgebildeten Akkorde werden nach sich im Laufe des Teils weiter ausdifferenzierenden Regeln permutiert, wobei bei der Formulierung dieser Regeln die Ausgeglichenheit in der Präsenz aller Akkordtöne Priorität hatte.
Hinsichtlich der Ereignisdichte werden die beiden genannten Prozesse (Tempoverlangsamung, Beschleunigung der Akkordwechsel in zwei Phasen) von mehreren anderen Vorgängen überlagert; einer von ihnen ist das im Verlauf der Ambitusvergrößerung erfolgende Anwachsen des (anfangs fünftönigen) Akkords auf schließlich 11 Töne.
Die durchaus balinesisch inspirierte Idee zwei Musiker im gleichen Puls, aber um einen halben Schlag versetzt, spielen zu lassen, wodurch sich der akustisch erfahrbare Puls verdoppelt, wird in diesem ersten Teil von Anästhesie I in aller Ausführlichkeit beleuchtet und durch mehrere Erweiterungen bereichert.
Gleich zu Beginn des (in einem Scarlattischen Presto auszuführenden) zweiten Abschnitts von A werden die beiden Formen der "Ablagerungen" an Pulsnoten vorgestellt: Vor- und Nachschläge.
Das erste Pulsmodell ist: Note mit Vorschlag – simultaner Zweiklang – Note mit Nachschlag:
Ungeachtet der fortschreitenden Vergrößerung des Akkordumfangs und der Anzahl seiner Töne wird dieses Modell relativ lange beibehalten. Erst mit dem Erreichen des "Doppelakkords" (s.o. 11 bzw. 7 Achtel) beginnt eine Übergangsphase, in der sich allmählich weitere Vor- und Nachschlagstöne den Pulsnoten anschließen. Nach dem Erreichen des vorletzten Akkords dieses Abschnitts (ab T. 53) scheint sich ein zweites Pulsmodell etabliert zu haben:
Doch unmittelbar mit dem rasch folgenden Erreichen des zweitwichtigsten Akkords des Stückes, der den Beginn des dritten Abschnitts von Teil A einleitet, bricht die Form: Flügel 1 übernimmt für wenige Takte beide Parts, wobei der Achtelpuls durch die zahlreichen Ablagerungen recht stark verwischt wird. Die mittlerweile auf die Hälfte des Anfangstempos abgesunkene Geschwindigkeit resultiert in einer Neubewertung des Pulses: wenn Flügel 2 am Ende von Takt 37 wieder einsteigt, tut er dies um ein Sechzehntel zu Flügel 1 versetzt . Beide Flügel spielen nun Achtel — wegen des halben Tempos also eigentlich im gleichen Presto wie zu Beginn.
Auch das Pulsmodell ist zunächst wieder jenes ursprüngliche (s.o.). Neue Formem der "Sedimentbildung" führen schließlich zur Entfaltung des dritten Pulsmodells, welches in T. 53 vollständig erreicht ist:
Das dritte Modell bleibt relativ lange erhalten (trotz ständiger Vergrößerung von Ambitus und Tongehalt der Akkorde), bis es sich ab Takt 68 — und besonders bei den letzten drei Akkorden — durch immer stärker wuchernde Ablagerungen von Vor- und Nachschlägen zu dem "floralen" vorletzten Takt des Teils entwickelt.
In diesem Takt, in welchem das erste Klavier 12 und das zweite 11 Sechzehntel zu füllen hat, nähern sich die beiden Phasen des bis dahin konsequent verzahnten Wechselpulses durch verschieden starke Ritardandi einander immer weiter an (das zweite Klavier verlangsamt etwas stärker als das erste), was zusammen mit seiner starken Überwucherung in einer endgültigen Verwischung des ohnehin schon stark verlangsamten Pulses resultiert. Im letzten Takt des Teils A haben beide endgültig zur Synchronizität gefunden.
Der letzte, siebzehnte Akkord markiert — wie schon angemerkt — den Beginn von Teil B. Es handelt sich bei diesem Klang um den 11tönigen Hauptakkord von Anästhesie I, welcher den gesamten Teil prägt und zunächst in ungetrübter Deutlichkeit ausgebreitet wird.
Im Verlauf des Teils B, den man in zwei Abschnitte gliedern könnte, löst er sich in sehr allmählichen Prozessen in mehrere eigenständige Linien auf.
Am Anfang steht ein Arpeggio dieses Akkords aus 31 Achteln, das eine zweiteilige Gestalt aufweist: abwärts "schaukelnd" (11, 9, 10, 8, 9, 7, 8, 6 etc.) — aufwärts linear. |
Das Ende der Figur mündet wieder in ihren Beginn:
etc.
Die vertikal gespiegelte Version dieses zweiteiligen Arpeggios tritt wenig später aus der initialen Linie hervor. |
Dies geschieht beim Erreichen des zentralen c2 im zweiten Durchlauf derselben (T.81):
Der "Treffpunkt" beider Arpeggiolinien (der originalen und ihrer Inversion) entsteht, weil der Beginn der zweiten Linie um drei Töne vor den der ersten verschoben wurde.
Setzt man den Loopanker in jenen Schnittpunkt, erhält man eine horizontal-symmetrische Figur:
Dieser Zustand des Geschehens ist in den Takten 87–89 der Partitur präsent.
Eines der 31-Achtel-Loops bildet eine halbe, zwei aufeinanderfolgende bilden eine vollständige Phase.
In Takt 90 findet die alternierende Aufteilung dieser Figur auf beide Parts statt: jeweils abwechselnd übernimmt jeder der beiden Spieler einen Ton der originalen Figur (blaugrau) und ihrer Inversion (graugrün). |
Die hellrote Linie bezeichnet in der ersten Halbphase den Part von PF2, die hellblaue den von PF1. |
In der darauffolgenden Halbphase (T.93ff) ist die Verteilung dann genau umgekehrt, wonach sich das Prinzip loopähnlich wiederholt.
Jedoch gibt es in diesem Stück so gut wie keine wörtliche Wiederholung. Und so beginnt bereits im Verlauf dieser zweiten Halbphase nach der Aufteilung ein an Teil A erinnernder Sedimentationsprozess, der gleichzeitig eine Separation beider Klavierparts verursacht — wenn letztgenannte auch als solche zunächst kaum wahrnehmbar bleibt.
Durch die Aufteilung der beiden zweiteiligen Arpeggiolinien auf beide Spieler entstehen gewissermaßen vier in Vierteln einherschreitende Linien.
Demonstriert sei der genannte neuerliche Sedimentationsprozess anhand einer Generation (= einer halben Phase) der hellrot markierten Stimme.
Ganz allmählich lagert sich ab Takt 94 vor mehr und mehr Hauptnoten der vier Linien eine leichtere, leisere Zweiunddreißigstelnote ab. |
Fünf Takte später ist dieser Vorgang abgeschlossen: jeder ursprüngliche Ton — mit Ausnahme der Anfangstöne einer neuen Bewegungsrichtung — wird nun durch eine Vorschlagsnote vorbereitet. |
Bei den Tönen allmählich auf- bzw. absteigender Linien liegt dieser Vorschlag jeweils eine Stufe unter- bzw. oberhalb der Hauptnote — bei den steileren etwas entfernter von diesen. |
Ab Takt 100 tauchen immer häufiger Hauptnoten mit zweifachen Vorschlägen auf. |
Nach dem Ablauf einer weiteren Phase (T.105) hat sich vor jede Vorschlagsnote der ersten Generation eine zweite angefügt — nach den gleichen Regeln wie jene. |
In einer letzten Übergangsphase dieses ersten Abschnitts von Teil B hängen sich — zunächst sporadisch, dann immer häufiger — Nachschlagszweiunddreißigstel an Hauptnoten. |
In Takt 115 hat sich auch dieses Sediment vollständig etabliert, so dass beide Pianisten (fast) durchweg Zweiunddreißigstel spielen. Die Ablagerung geschieht nach den gleichen Regeln wie bei den Vorschlägen. |
Auch sind die Nachschlagstöne ebenso leise und leicht wie jene. Lediglich an die letzten Hauptnoten vor einem Neubeginn in umgekehrter Bewegungsrichtung schmiegen sich keine Nachschläge an — dafür findet sich an den Anfangstönen jeder Linie erstmals auch eine Ablagerung. |
Wohlgemerkt handelt es sich bei dem soeben beschriebenen Beispiel nur um die Entwicklung in einer Halbphase der beiden Linien eines Pianisten. Die Entwicklungen in den beiden Linien des anderen Pianisten sind analog, aber mit jenen des einen verzahnt. Jedenfalls bewirkt die Art der Ablagerungen eine allmähliche Verdeutlichung der sich im folgenden weiter voneinander lösendenen vier Linien.
Nach einer Introduktionsphase sind es insgesamt fünf Hauptphasen, die den ersten Abschnitt von B bilden; jede Phase besteht, wie gesagt, aus zwei Halbphasen von je 31 Achteln Dauer.
Mit der Übernahme der originalen Arpeggiolinie durch den Rechten Flügel im c2 beginnt im zweiten Takt des Teils B (T.78) die Introduktionsphase. Der Beginn ihrer zweiten Phasenhälfte gebiert zusätzlich die zweite, invertierte Arpeggiolinie — im gleichen Ton (s.o.). Nach Ablauf dieser Introduktionsphase beginnt die erste der fünf Hauptphasen, welche deutliche Wechsel auf mehreren Ebenen und den Beginn einer weiteren, bislang nicht erwähnten Ebene präsentiert.
Die auffälligste Änderung ist fraglos der plötzliche Wechsel zum sehr kurzen Staccato. Fast seit Beginn des Stückes war der Klang beider Instrumente vom lang nachhallenden Klavierton des Spiels mit dauerhaft aufgehobenen Dämpfern geprägt gewesen. Dieser opulente Klang weicht unmittelbar mit Beginn der ersten der fünf Hauptphasen in Takt 84 dem trockenen Klang äußerster Kürze.
Eine zweite Schicht beginnt ebenfalls an dieser Stelle: die pulsierende Kontraktion des Hauptakkordes.
Zunächst erhalten durch sie die 31 Achtel einer Halbphase eine metrisch relevante Strukturierung, indem der Hauptakkord in 7 Zwei- bzw. Dreitongruppen zerlegt wird, welche in folgenden Abständen voneinander erklingen: 7|5|3|2|2|5|7.
Auch diese Ebene ist wechselseitig auf beide Instrumentalparts verteilt.
So formt sich die Ebene der pulsierenden Kontraktion des Hauptakkordes — hier ihr Anfang:
Nach drei Halbphasen (3x31 Achteln) beginnt in der Mitte der zweiten der fünf Hauptphasen der Kontraktionsprozess. Unter Beibehaltung des Verteilungsprinzips der Akkordtöne auf die Figur beginnt ein den Progressionen des A-Teils gegenläufiger Vorgang des stufenweisen Zusammenziehens in Ambitus (und Tonanzahl) des verwendeten Akkords.
Nun da der Prozess einmal angestoßen ist, folgt in jeder Halbphase eine neue Kontraktion: in der dritten Hauptphase die 2. und 3., in der vierten die 4. und 5. und in der fünften Phase schließlich die letzten beiden Kontraktionen.
Mit dem auf das Ende der fünften Phase folgenden zweiten Abschnitt des Teils B von Anästhesie I verschwindet diese Ebene. Ansonsten ist dieser Beginn akustisch zunächst eher unauffällig. Allerdings hat sich auch im Laufe des vorstehend beschriebenen Geschehens das Tempo immer weiter verlangsamt, so dass auf der Notationsebene eine neuerliche metrische Umdeutung stattfindet: die Zweiunddreißigstel am Ende des ersten Abschnitts entsprechen den Achteln am Anfang des zweiten.
Der zweite Abschnitt von B enthält noch drei Halbphasen, bevor er in die Coda des Teils mündet; in ihnen setzen sich die linienbildenden Metamorphosen fort. Jede Halbphase ist nun 31 Halbe lang und mittlerweile von ziemlicher zeitlicher Ausdehnung. Dass das metrische Empfinden zunehmend zum Erliegen kommt, liegt dabei nicht nur an der nun fehlenden pulsierenden Kontraktionsebene, sondern auch daran, dass sich die Sedimente der Hauptnoten allmählich von letzteren zeitlich zu lösen beginnen und die "Lücken" zwischen den Hauptnoten zu schließen beginnen (dabei gegebenenfalls weitere Ablagerungen bildend).
Die Tatsache, dass zwischen den Hauptnoten unterschiedlich viele Stufen liegen, diese aber in regelmäßigen Abständen durchschritten werden sollen, erzeugt wechselnde Geschwindigkeiten bei den Sedimentgängen. Ein Ausschnitt aus den Takten um den Beginn der 3. Halbphase — unmittelbar nachdem der Verknüpfungsprozess abgeschlossen ist — möge das solcherart entstandene vierschichtige Rubatogeflecht illustrieren.
Am Beginn der dritten und letzten Halbphase hat das Ritardando das Tempo 107 erreicht. In dieser gerät das anfangs so stabile Gerüst endgültig aus den Fugen: zuerst schießen die auswärts strebenden Linien erst um jeweils eine, dann gar eine zweite Skalenstufe über den bis dahin nie gesprengten Rahmen des Hauptakkords hinaus — den Ambitus der Linien nach unten bis zum C1, nach oben bis zum c5 erweiternd. Die auf diese Weise verursachte Ablenkung von ihrer bisherigen Bahn führt die beiden Linien, welche sich bisher im ganzen Teil zu jedem Halbphasenbeginn im c2 trafen, leicht verändert aufeinander.
Unmittelbar am Ende der 3. Halbphase, das gleichzeitig den Beginn der Coda markiert, landen zuerst zwei Linien gemeinsam auf der benachbarten Stufe cis2; zwei Halbe später die andern beiden Linien auf der unmittelbar unter dem bisherigen Akzentton liegenden Stufe h1. Ab hier verselbständigen sich die vier Linien endgültig...
Zwar bleibt in dieser Coda das Tempo des notierten (die Spieler koordinierenden) Metrums völlig stabil; dennoch ist sie von vielen auskomponierten Temposchwankungen gekennzeichnet. Verschiedene Treff-, Anfangs- und Wendepunkte werden in dieser Coda durch Akzente hervorgehoben. Die Tonhöhen dieser Betonungen (im Abstand von 2, 3, 5, 7 und 11 Halben) rekurrieren auf den zweiten Teil der Eröffnungsfigur des Gesamtwerks: cis-h-dis-a-/g-\f. Ein besonders drastisches Ritardando beschließt Teil B von Anästhesie I.
Bis zum Beginn von Teil C ist Anästhesie I ganz von prozessualen Entwicklungen und allmählichen Transformationen geprägt. Mit dem Anfang von Teil C ändert sich nicht nur das Klangbild relativ deutlich, auch das kompositorische Material erfährt unüberhörbare Modifikationen und Erweiterungen.
So beginnt mit C die zweite Teilligatur hinsichtlich der verwendeten Skalentransposition: standen die ersten beiden Teile in der 1., wechselt die Tonhöhenstruktur jetzt in die 7. Transposition.
In ersten Andeutungen tritt nun auch der isländische Dialog in Erscheinung. [ÜBERSETZUNG]
Beide Sprecher beenden jeden ihrer vier kurzen Verse mit einer im Wortlaut gleichbleibenden Beschwörungsformel: ER mit den Worten "… snör mín en snarpa, og dillidó.", SIE hingegen mit "… ári minn Kári, og korriró."
Jeweils die ersten drei dieser Formeln des Trolls und des Mädchens bilden die Grundlage für Teil C. |
Links sehen Sie die entsprechenden Ausschnitte aus der Dialogtranskription. Allerdings sind es vorerst nur vage Spuren der Phonetik, die in diesem vernehmlich werden — ganz langsam tastet sich das Stück an die Evokation von Sprache heran.
Zunächst sind es nur die betontesten Silben, welche tatsächlich erklingen — die zeitlichen Distanzen dieser Schwerpunkte entsprechen aber bereits exakt dem Rhythmus der Vorlage.
Im Verlauf des Teils kommen dann auch die anderen Silben und melismatischen Nuancen der Sprachmelodie hinzu.
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Auch die alternierende zeitliche Staffelung der beiden Sprecher fächert sich erst im Verlauf dieses Teils auf: setzen die ersten Ausrufe beider noch fast simultan ein, entzerrt sich der Beginn beim zweiten Paar schon stärker und beim dritten ist die Überlappung beinahe verschwunden:
Eine Kästchenreihe entspricht in vorstehender Graphik einer Skalenstufe.
Man kann in dieser Illustration die Verschiedenartigkeit der Verdichtungsprozesse in beiden Dialogpartien erkennen: während sich im Part des Trolls neben dem wachsenden Tongehalt der Akkorde eine Verringerung ihrer tonräumlichen Ausdehnungen beobachten lässt, bleibt der Ambitus der Akkorde im Part des Mädchens gleich. Hier findet sich allerdings neben der immer feineren Nuancierung der Kontur eine allmähliche Verkürzung der Einzelakkorde, wodurch der Klang des Mädchens immer mehr an Durchsichtigkeit gewinnt.
Nach einem 7 Achtel langen, aufwärts rasenden Introduktionstakt beginnt Teil D, der aus zwei Abschnitten besteht, die sich wiederum jeweils in zwei Episoden gliedern lassen. Einiges verbindet diesen Teil mit seinem Vorgänger (er verwendet die gleiche Skalentransposition, beruht ebenfalls auf der Phonetik des Nachttroll-Dialogs), obwohl sein Erscheinungsbild gänzlich verschieden von diesem ist.
Die beiden Episoden des ersten Abschnitts stellen zwei musikalische Ausdeutungen einer Schlüsselzeile des Dialogs vor: wenn der Troll erwähnt, dass es im Osten zu tagen beginnt (was für ihn gefährlich, für das Mädchen hingegen eine gute Nachricht ist), bricht er mit dem bislang stets beibehaltenen Versmaß — und dehnt zum Ausgleich drohend die Silben. |
Die erste der beiden Variationen dieser Zeile in diesem Teil ist im Kern ein in rasendem Tempo vorgetragener doppelter Hoquetus aus zwei Linien, deren dynamisch markierte und ihrer Lautstärke entsprechend verlängerte Spitzentöne den Tonhöhenverlauf des Trolls an dieser Stelle nachzeichnen. Auf die 7. Transposition der Skala projiziert und zeitlich stark augmentiert entsteht die Vorlage für die erste Variation:
Es handelt sich also um zwei Linien …
(fahren Sie mit dem Mauspfeil auf die Graphik, um Linie 2 zu sehen)
… die von beiden Instrumenten hoquetiert und durch ebenfalls verzahnte, einwärts gerichtete Akkordarpeggien am Beginn jeder Hauptnote bereichert werden.
(bewegen Sie den Mauspfeil über die Graphik, um die Vervollständigung des Hoquetus durch PF2 zu sehen)
Ein Ritardando leitet zur zweiten Variation der gleichen Textzeile über, welche etwas sanfter im Charakter und etwas anders organisiert ist. So liegt u.a. ihr Repetitionston am unteren Rand des Klaviersatzes.
Erneut verlangsamend wird nun der zweite Abschnitt von D erreicht, der zwei verschiedenen Wortgruppen (i.e. Verszeilen) besteht: die unmittelbar auf die "Dagur…"-Zeile folgende vierte Beschwörungsformel des Trolls sowie die entsprechende letzte Verszeile des Mädchen — jene beiden also, die in Teil C nicht erklangen, werden hier gewissermaßen "nachgereicht". Die Entzerrung ist nun vollständig (beide folgen ohne Überlappung aufeinander), und die Form ihrer Umsetzung ist eine kombinatorische Verknüpfung der Satztechniken, wie sie bei den andern Formeln in Teil C bzw. im ersten Abschnitt dieses Teils D verwendet wurden.
Der Teil D endet mit vier verschieden schnell auseinanderstrebenden Linien, die in ein extremes Ritardando münden, das zu Teil E leitet.
Nach den ereignisreichen Vorgängen der zurückliegenden Teile sind die markantesten Elemente des Teils E nun Pausen — stellenweise fast verstörend lange Pausen. Strukturiert wird diese Pausensequenz durch äußerst kurze Akkordschläge.
Auch Teil E gliedert sich in zwei (durch eine Überleitung miteinander verbundene) Abschnitte. Die Proportionen der Pausenlängen wurden aus den Proportionen des Gesamtwerks deriviert; die Proportionenfolge wurde zweimal aneinandergefügt (einmal rückläufig und einmal original), wobei sich beide Sequenzen in dem singulären 4er Teil überlappen. Die beiden dem Teil E zugeordneten Skalentranspositionen wurden in je einem der beiden Abschnitte verwendet.
Die durch die Akkorde gebildete Grundstruktur des Teils sieht im Notenbild so aus:
Die elf getupften Akkorde des ersten Abschnitts entpuppen sich bei näherer Betrachtung als zehn jedesmal anders auf die beiden Spieler verteilte Repetitionen ein und desselben elftönigen Akkordes. Beim zehnten Mal bleibt dieser liegen, bis er vom elften Akkord — einem neuen, ebenfalls elftönigen — abgelöst wird. Bei dem ersten der beiden Akkorde handelt es sich um den jenen letzten des Teils A vor Erreichen des Hauptakkords von Teil B; bei dem zweiten hingegen um eben jenen Hauptakkord. Beide sind nun allerdings in die 2. Skalentransposition und in dieser um ein Referenzintervall herab versetzt.
Zwischen einzelne dieser Akkordgerüststreben sind verschiedene Einflechtungen eingefügt worden. Die letzte derselben (nach dem elften, neuen Akkord) paraphrasiert vorwegnehmend den Höhepunkt des Stücks — den bannenden Ausruf höchster Erregung des Mädchens im Teil J (T.555): "Stattu og vertu að steini!"
Auf den ersten Abschnitt folgt eine Überleitung, in welcher der zuletzt erreichte Hauptakkord der 2. Transposition in denselben der 8. Transposition überblendet wird.
Abrupt unterbrochen wird dieses "ausatmende" Intermezzo vom grob lautstarken, aber sehr kurzen ersten Akkord des 2. Abschnitts.
Dessen Akkordgerüst ist etwas komplexer organisiert. Die Kontraktionsebene des Teils B aufgreifend, werden hier zwei Progressionen gegeneinandergestellt: eine kontrahierende und eine expandierende, wobei sich die zweite gewissermaßen einfädelt, während die erste sich nachklingend ausblendet. Die zweite Progression ist der um ein Skalenreferenzintervall abwärts versetzte Krebs der ersten.
Vom ffff des ersten Akkordschlags des zweiten Abschnitts (B) sinkt die Dynamik der sich zusammenziehenden Ebene proportional zur Tonanzahl immer weiter ab, während jene der sich ausdehnenden Ebene vom ersten, behutsam pppp vorgetragenen a entsprechend seinem Zuwachs an Tönen auch an Dynamik anschwillt. Jenes a eilte dem eigentlichen Akkordschlag (C) der kontrahierenden Ebene um fast drei Viertel voraus. Mit der Zunahme der Tonanzahl dieser zweiten Ebene verkürzt sich auch dieser Vorlauf vor dem Gerüstakkord. In ähnlicher Weise verlängern sich in der kontrahierenden Ebene die Nachklänge von Akkord H an bis zum Schlusston der Ebene.
Selbstverständlich wurden auch hier beide Ebenen wechselseitig auf beide Instrumente verteilt.
Wie im ersten Abschnitt sind auch in einige Zwischenräume des zweiten Einflechtungen eingewoben. Auf zwei von ihnen möchte ich hinweisen: die isometrische Engführung der im ersten Abschnitt plötzlich herbeigebrausten Zeile "Stattu…" — und den sechsfachen Rubato-Hoquetus ganz am Ende dieses Teils E von Anästhesie I.
Die isometrische Engführung komprimiert auf engstem Raum sieben verschieden schnelle Varianten der selben bereits erwähnten Formel "Steh still und werde zu Stein!" — äußerst zart und in hohem Register.
Zwischen die letzten beiden Akkorde des Gerüsts schließlich ist ein mehrschichtiges Gebilde aus unterschiedlichen Rubati gespannt. In ihm findet sich (im Pattern δ) auch ein Zitat der Eröffnungsfigur wieder.
Dieses Zitat erkennen Sie deutlicher, wenn Sie den Mauspfeil aufs Bild führen.
Der zweite Abschnitt von E endet wie er begann: mit einem äußerst harten Akkordschlag, der gleichzeitig der Auftakt zum folgenden stürmischen Teil F ist.
In großem Kontrast zum vorangegangenen, stellenweise beinah statischen Teil folgt mit F ein rasend schnell dahinjagender.
In neuer Skalentransposition (03.) wird in F erstmals fast der komplette Dialog vorgestellt.
Auch hier wird nicht etwa je einem Spieler eine der Rollen zugewiesen, sondern werden beide Partien von beiden Musikern dargeboten — in kleinsten Partikeln miteinander verzahnt. Diese Technik ermöglicht akustische Ergebnisse, die anders nicht zu erzielen wären. Als besonders einleuchtendes Beispiel sei die solcherart gewonnene Möglichkeit rasche Läufe von Mehrklängen mit wechselnder Intervallstruktur zu spielen genannt. |
Mithilfe der nachfolgenden Graphik können Sie sich einen ersten Überblick über die Ereignisse des Teils F verschaffen und die beschriebene Verteilung des musikalischen Materials auf beide Flügel verfolgen.
Mit dem Mauspfeil können Sie die Darstellung um den Part des PF2 ergänzen.
Teil F besteht aus drei Abschnitten und einer Coda. Die ersten drei entsprechen jeweils einem Vierzeiler des Dialogs (in ihrer Anordnung das "Entzerren" der Einsätze in Teil C umkehrend: hier verkürzen sich die Abstände zwischen beiden Sprechern innerhalb der Abschnitte).
Mit dem Mauspfeil ergänzen Sie die Markierung der Sprachanteile um jene des Mädchens.
Die kompositorische Transformation des Dialogs durchläuft in diesem Teil mehrere Entwicklungen. Am auffälligsten ist dabei sicherlich der Prozess des wachsenden Ambitus' des Dialoganteils. In zwei Anläufen gelangt dieser auch von anfänglicher Einstimmigkeit zu dreistimmiger Satztechnik.
Der 1. Abschnitt von Teil F, den Sie untenstehend detaillierter betrachten können, stellt zunächst die Eröffnungszeilen des Trolls in detailliert der Sprachtonhöhenkurve folgender Linearität vor, während aus der Höhe eine stufenweise herabrasende Kaskade aus dreischrittigen Figuren (je 1 weiter und ein enger Zweiklang, ein Einzelton) in den Tonbereich des Trolls gelangt.
+SIE1 via Mauspfeil
Mit dem Einsatz des Mädchenanteils des Dialogs (zunächst ebenfalls einstimmig), kehrt die Kaskade ihre Bewegungsrichtung um, um sich am Ende der ersten Zeile mit jenem zu vereinen. Diese Vereinigung führt zur ersten Erweiterung des Dialogsatzes: von hier an wird dieser zweistimmig fortgeführt, wobei PF1 und PF2 jeweils wechselseitig den höheren bzw. tieferen der beiden Töne spielen. Der Abstand der beiden Flanken dieser Doppellinie beträgt zunächst konstant eine Skalenterz.
Zu Beginn des 2. Abschnitts (ab T.293) fädelt sich die begleitende Ebene in einem vom Rest losgelöst scheinenden Ritardando aus. In der Art der Figurenbildung bei der Verknüpfung der Sprachfetzen lebt sie aber weiter fort.
Bereits in der zweiten Wortgruppe des Trolls, der Beschwörungsformel "snör mín en snarpa…" findet die nächste Transformation des Klaviersatzes statt: der Abstand der skalenbezogen parallel geführten zwei Linien erweitert sich nun auf eine Skalenquinte.
In diesem Abstand wird auch des Mädchens erste Zeile dieses 2. Abschnitts alternierend tremoliert. In Analogie zum 1. Abschnitt erweitert sich aber in der zweiten Zeile des Mädchenanteils der Satz erneut: er wächst zur (freilich nach wie vor hoquetusartig verteilten) Dreistimmigkeit an — wobei die simultan erklingenden drei Töne jeweils zwei Skalenterzen voneinander entfernt liegen.
+SIE2 per Mouse-Over
Die verzerrt ornamentale Figur, mit der die Mädchenlinie am Ende dieses Abschnitts aufwärts entweicht, ähnelt einer zweischrittigen Version der kaskadierenden Begleitfigur des Anfangs dieses Teils.
Der 3. Abschnitt stellt kompositionstechnisch eine Variation des vorangegangenen dar: in der zweiten Zeile des Nachttrolls erweitert sich zwar der Ambitus der parallel geführten Außenflanken des Satzes auf eine Skalenseptime (vorher: Skalenquinte) — allerdings unter Inkaufnahme eines Rückfalls in die Zweistimmigkeit. In Analogie zum Vorangegangenen erweitert sich dann der Satz im letzten Viertel des Abschnitts (zweite Zeile des Mädchens) erneut zur Dreistimmigkeit — nun aber mit dem aktuellen Ambitus der Skalenseptime. Das heißt, die drei Töne des Satzes liegen jeweils eine Skalenquarte voneinander entfernt.
+SIE3 wie bisher
Ausgerechnet diese zweite Zeile im dritten Vers des Mädchens zeichnet sich durch ausgesprochen geringe Mobilität in der Tonhöhe aus: der Satz "gefriert" gewissermaßen — und kommt kaum zum Schluss, als bereits der Nachttroll mit seinem nächsten Einsatz hineinpoltert.
Lediglich dessen erste (bereits in D mehrmals angedeutete) Zeile stapelt sich in der den Teil abschließenden Coda erneut zu einer vierschichtigen isometrischen Engführung, wobei sowohl Dux als auch die drei Comites zunehmend abwärts strebende Tonketten fallen lassen — zuletzt bei jedem Schwerpunktton.
Das Mädchen kommt in dieser Coda nicht mehr zu Wort — auch die auf die Morgendämmerung-Ankündigung des Trolls folgende Beschwörungsformel ("snör…") fehlt hier noch. Der letzte betonte Ton des dritten Comes hatte neben der für diese Coda typischen Abwärtslinie auch eine aufwärts gerichtete geboren.
In der untenstehenden letzten Graphik zu diesem Teil F können Sie noch einmal die Verteilung des musikalischen Geschehens der letzten zwanzig Takte auf die beiden Pianisten beobachten.
Mit dem Mauspfeil ergänzen Sie die Darstellung um den Part des PF2.
Jede der insgesamt sieben Gedichtzeilen dieses Teils wird durch ein vorangestelltes Ritardando erreicht. Und auch am Ende der Coda steht ein solches, das in den nachfolgenden Teil (G) führt.
Teil G gliedert sich in einen Einleitungstakt, einen ausgedehnten Hauptabschnitt und eine Schlussgruppe.
Seine stärksten Verwandtschaften bestehen zu Teil A, aber auch zu B und E bestehen vielfältige Verbindungen.
Mindestens in einer Hinsicht ist Teil G völlig einzigartig unter den Kernteilen von Anästhesie I (also abgesehen von Teil L): er verwendet alle Transpositionen der Skala in der dem ganzen Stück zugrundeliegenden Abfolge. Von der auf die 3. Transposition des Teils F folgenden 9. Transposition über die 4., 10., 5., 11., 6., 1., 7., 2., 8. und 3. wiederum zur 9. — schließlich mit der 4. endend. |
Nach einem STARTAKKORD (dem 11tönigen Hauptakkord in der 9. Transposition) beginnt ein — weiter unten erläutertes — pulsierendes, im Tonraum ständig absinkendes, den Ambitus zunächst allmählich vergrößerndes und schließlich wieder verringerndes "Läuten" von Akkorden. Am Ende steht wiederum der 11tönige Hauptakkord — diesmal folgerichtig in der 4. Transposition und als SCHLUSSAKKORD.
Die Intervallstruktur der Klänge dieser Akkordsequenz stellt einen selektiven Ausschnitt aus der Anfangssequenz des Stückes (i.e. Teil A) dar. In jenem Teil standen diese Akkorde allerdings alle in der gleichen (der 1.) Skalentransposition.
Führen Sie den Mauspfeil auf das Notenbild (und lassen ihn dort ein paar Augenblicke verweilen)
und Ihnen werden die verwendeten Akkorde und deren Reihenfolge demonstriert.
Jeder Akkord dieser Folge wurde nun einer Transposition zugeordnet. Das kontinuierliche Abwärtsschreiten der Zentraltöne um 5 chromatische Stufen, d.h. eine konventionelle reine Quarte, bei jedem Transpositionswechsel entsteht durch die gewählte Transpositionenfolge. Die Linearität dieses Aspekts wird durch mehrere andere Prozesse kontrapunktiert, von denen zwei parallel zueinander verlaufen: das allmähliche Anwachsen und schließlich rasche Wieder-Einschrumpfen der Akkordumfänge und -valenzen und die Dauern der Akkorde. Andere Prozesse (wie etwa die Dynamik) überlagern die bereits genannten in unabhängigen Verläufen.
Mit dem Mauspfeil wird Ihnen die Reihenfolge der verwendeten Transpositionen und der Akkorde demonstriert.
Die so entstandene Akkordsequenz liegt dem klanglichen Geschehen von Teil G zugrunde. Ambitus, Tongehalt und Dauern der Akkorde steigen bis Akkord H, der wiederum der 11tönige Hauptakkord ist, an — worauf sich dieser Prozess, stark beschleunigt, umkehrt.
Schließlich noch ein paar Worte zum "Läuten" dieser Akkorde A–L im Hauptabschnitt von Teil G.
Wie bei den meisten Kirchenglockengeläuten besitzt jeder Akkordton des Hauptabschnitts von G seine eigene Anschlagfrequenz aus zwei verschieden langen Phasen: ein lauterer, länger ausschwingender wird von einem leiseren, weniger lang klingenden Anschlag gefolgt.
Aber bereits bei der Verteilung der verschiedenen Geschwindigkeiten entfernt sich die musikalische Transformation von den Analogien zum Glockenturm. Bei Geläuten schlagen die kleinen Glocken naturgemäß häufiger als die großen. In Teil G von Anästhesie I weist die höchste Frequenz jedoch der Zentralton der Akkorde auf. Dieser pulsiert mit dem Verhältnis 7:5 in den kleinsten Einheiten dieses Abschnitts: Quintolensechzehnteln. Das heißt, der lautere Ton klingt 7 Quintolensechzehntel bevor der leisere angeschlagen wird, auf den 5 Quintolensechzehntel später wieder der lautere folgt.
Alle andern Töne der Akkordsequenz augmentieren dieses Verhältnis in exakten Vielfachen.
Beim Akkord H sieht die Überlagerung der verschiedenen Schwingungsphasen dann so aus:
Der lautere der beiden Anschläge jedes Akkordtons wird dabei vom einen Pianisten, der leisere vom anderen gespielt, wobei die Verteilung von Laut und Leise bei den einzelnen Akkordtönen wechselseitig stattfand: PF1 spielt die lauten Anschläge des obersten Akkordtons und die leisen des zweithöchsten, PF2 die stärkeren des letzten und die schwächeren des ersten, etc.
Am Ende der Dauer eines Akkords beginnen etliche der Akkordtöne stufenweise abzusinken — bis zum entsprechenden Ton des nächsten Akkords. Besonders leicht verfolgbar (und besonders gleichförmig in der Intervallstruktur) geschieht dies beim Zentralton der Akkorde.
Kurz nach Beginn des des Akkordes K erklingt plötzlich das in den vorangegangenen Teil F nicht mehr einbezogene letzte "snör mín en snarpa, og dillido" des Trolls — wird aber von der dynamisch stark anschwellenden Glockenstruktur wieder eingeholt. Der weiche Klang der Schlussgruppe beendet den Teil.
Mauspfeil: +PF2
Diese Schlussgruppe stellt ein mehrschichtiges auskomponiertes Ritardando dar. Während das notierte Tempo unverändert bleibt, vergrößern sich die Abstände der Tonrepetitionen des SCHLUSSAKKORDs (der 11tönige in der 4. Transposition) primzahlschrittweise.
Der höchste Akkordton wird elfmal wiederholt (nach 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29 und 31 Quintolen-Sechzehnteln); der zweithöchste zehnmal (nach 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29 und 31); etc.
Der tiefste Akkordton wird nur einmal (nach 31 Quintolensechzehnteln) wiederholt: ein sehr kurzes, akzentuiertes Mezzopiano-Staccato, das den bis dahin klingenden Ton gewissermaßen "abschaltet". Wenn auch nicht ganz so rigoros, wie in der graphischen Darstellung vereinfacht: er klingt im anderen Klavier noch sehr leise bis zu dessen nächstem Staccato nach. Denn auf diese Weise beenden ab hier alle jeweils letzten Repetitionen die zuvor nachklingenden Akkordtöne, wodurch ein aufwärts gerichtetes, sich — trotz eigentlicher Ritardandostruktur der Schlussgruppe — beschleunigendes Arpeggio des gesamten Akkords entsteht.
Aus dem letzten Ton der Schlussgruppe von G löst sich in einem 7 Achtel langen Introduktionstakt zu Teil H in höchster Lage eine Kette aus vier Tönen — stufenweise herabfallend und dabei stark verlangsamend. Sie steigt in der neuen, 10. Skalentransposition zum nächsten Modusachsenton herab, während aus der mittleren Lage eine zweite Linie abwärts rast.
Beide Linien erreichen ihren Zielton um ein Sechzehntel versetzt. Zuerst markiert die untere Linie mit dem tiefsten Modusachsenton der 10. Transposition den eigentlichen Anfang von Teil H und damit auch den Beginn und unteren Rand des nun beginnenden metrischen Rahmens dieses Teils. Ein Sechzehntel später erreicht die obere Linie den Modusachsenton sieben Referenzintervalle über dem unteren — sie setzt damit die Obergrenze des genannten Rahmens und initiiert die von oben herabfallenden Halbphasen des Rahmens.
Den metrischen Rahmen dieses Teils bildet ein permutierender Doppelpulsar. Ostinat bleibt dessen Dauer: eine Phase von 31 Achteln. Diese Phase wird von zwei Pulsen strukturiert — einem Großen Puls (dessen Gliederung auf Achtel bezogen ist) und einem Kleinen Puls (aus Vielfachen der Sechzehntel). Der Kleine Puls beginnt, wie gesagt, ein Sechzehntel nach dem Großen und bildet im Verlauf einer Phase des Großen zwei Halbphasen.
Nicht unverändert bleibt im Verlauf des Teils H die Struktur innerhalb der Phasen bzw. Halbphasen. Die rhythmische Anfangsgestalt des permutierenden Doppelpulsars ist die folgende:
Die Anfangsgestalt des Pulsars greift also zunächst die bereits in Teil B als Schicht der pulsierenden Kontraktion des Hauptakkordes (T.84ff.) eingeführte rhythmische 7teilige Gliederung einer 31teiligen Periode auf.
Die Impulse beider Ebenen sind wiederum wechselseitig auf beide Pianisten verteilt. Die zweite Phase wiederholt die erste mit vertauschter Verteilung der Impulse auf die Klaviere und bildet so mit der ersten eine Doppelphase.
Die Tonhöhen beider Pulse sind nach dem selben Prinzip organisiert: mit dem tiefsten bzw. höchsten Modusachsenton des Klavierumfangs beginnend, springt jede der beiden Stimmen jeweils einen Modusachsenton einwärts, solange sich die Impulsabstände verkürzen — und zurück sobald sich diese wieder verlängern:
Wie schon angedeutet, bleibt zwar die Phasenlänge des Doppelpulsars bis kurz vor Schluss des Teils unverändert (31 Achtel), die rhythmische Gliederung seiner Pulse erfährt jedoch bereits nach fünf Halbphasen die erste Abwandlung.
Die im folgenden auftretenden Variationen der Pulsstruktur stellen Permutationen der Anfangsgestalt (A|a) dar:
Diese 7 Permutationen werden zur Binnenstrukturierung des Doppelpulsars folgendermaßen verwendet:
Gewissermaßen eingehängt in diesen stabilen, aber doch in ständigem, wenn auch beinahe unauffälligem Wandel begriffenen Rahmen ist die Hauptbene dieses Teils: eine neuerliche Annäherung an den isländischen Dialog, wobei sich Bezüge zu allen bisherigen Teilen finden, in welchen derselbe bereits in Erscheinung trat (vornehmlich zu C, D und F).
Die Verwendung des Dialogs in Teil H von Anästhesie I sei im Folgenden am Beispiel seines Beginns demonstriert.
Wieder sind es zunächst nur die betontesten Silben, welche — in ihren exakten rhythmischen Verhältnissen — die Vorlage für den Transformationsprozess bilden.
Die auf die 1. Transposition der Skala projizierte Transkription des Anfangs mit markierten Hauptsilben:
Reduziert auf die ausgewählten Töne, d.h. die betontesten Silben, und in doppelten Notenwerten notiert, ergibt sich:
Übertragen in die für Teil H gewählte 10. Transposition:
Eine Besonderheit des Teils H wurzelt in der nun folgenden Stufe der Transformation: nur in diesem Teil werden die "Stimmlagen" der beiden Dialogpartner vertauscht. Dies geschieht, indem die Partie des Nachttrolls zwei Referenzintervalle (d.h. insgesamt eine konventionelle kleine Quartadezime) hinauf- und die Partie des Mädchens ein Referenzintervall (d.h. eine konventionelle große Septime) hinabtransponiert wurde:
Allerdings sind es auch noch nicht diese Töne, welche eigentlich erklingen werden. Die aus dem Dialog derivierte Ebene dieses Teils wird in einem permanenten doppelten Tremolo ausgeführt, d.h. beide Pianisten spielen in raschen Sechzehnteln abwechselnd zwei eine Skalenterz voneinander entfernt liegende Töne. Beide Tremoli sind um ein Sechzehntel versetzt, woraus bei präziser Aufführung extrem schnelle (und von einem einzelnen Pianisten nicht ausführbare) Terzenrepetitionen resultieren. Diese "Terzen" entstehen, in dem jeder Ton der obenstehend zuletzt abgebildeten Tonfolge in ein Zweiklang aus den benachbarten Stufen über und unter demselben zerlegt wird.
In den letzten beiden Stufen des Transformationsprozesses werden die Repititionen der Hauptnoten durch schweifende Übergangslinien verbunden (auch hierin Bezug auf Teil D nehmend). Auch in den Übergangslinien bleibt der Abstand beider Stimmen stets eine Skalenterz. Schließlich werden beide Parallelstimmen alternativ auf die Klaviere verteilt.
Diese Dialogebene ist in den oben beschriebenen metrischen Rahmen des permutierenden Doppelpulsars folgendermaßen eingehängt:
Wie aus der Graphik ersichtlich, wird der Puls an zwei Stellen unterbrochen: zuerst (kurz) am Ende der 8. Phase, beim Beginn des letzten Troll-Einsatzes ("Dagur...") — und schließlich für beinahe eine komplette Phase (die 10.) zu Beginn der letzten Replik des Mädchens, dem Aufschrei "Stattu..." Die beiden genannten Stellen fallen auch durch auffällig andere Satztechniken auf: die Trollphrase "Dagur er í austri" wird statt mit alternierenden Terzentremoli durch eine auf Teil F anspielende, die Mädchenphrase "Stattu og vertu að steini" durch eine auf Teil J vorgreifende Art der Stimmführung vorgetragen. Zu Beginn der 11. Phase fängt sich der Puls noch einmal zu einer letzten Variation (g bzw. g im Krebs) als Rahmen für die abschließende Beschwörungsformel des Mädchens, die noch einmal in den für Teil H typischen Terzentremoli erscheint.
In den 13 Achteln der letzten beiden Takte des Teils H wird der Doppelpulsar in einen extrem leisen aber heftigen Ritardandostrudel gezogen: das Tempo wird innerhalb dieser kurzen Schlussgruppe auf ein Sechzehntel gedrosselt.
Dabei kontrahiert allmählich der Ambitus der verwendeten Töne: zunächst verdoppelt sich jeder der insgesamt acht verschiedenen Töne des Pulsars; mit Einsetzen des extremen Ritardandos steuern die nun 16 Stimmen auf jeweils verschiedenen Wegen einen Ton des ersten Akkords des folgenden Teils I an. |
Abgesehen von der bis zum Beginn des Ritardandos noch präsenten Dialogebene, die in den folgenden Darstellungen fortgelassen wurde, findet folgende Verwandlung des Doppelpulsars statt. Zu Beginn erklingt, wie gesagt, noch je eine Permutation jeder der beiden Pulsebenen (wobei der große Puls bereits variiert). Dann wird jedem der Pulsartöne ein weiterer Ton beigesellt (jeweils ein Referenzintervall einwärts). Unmittelbar nachdem sich alle Pulstöne verdoppelt haben, sammeln sich — nach anfänglichen Irritationen — beide Pulslinien im Sechzehnteltempo, das sich im gleichen Moment wie beschrieben drastisch zu verlangsamen beginnt.
(Die dargestellte Verteilung der Impulse auf beide Pianisten (PF1 | PF2) bleibt auch nach den nachfolgend beschriebenen Entwicklungen erhalten.)
Mit dem Ritardando setzt auch die beschriebene Kontraktion und allmähliche Verwandlung des Akkords statt...
MAUSPFEIL→ +STIMMFÜHRUNGSLINIEN
... so dass (in ein Doppelsystem zusammengefasst) folgendes klangliches Resultat entsteht:
Das Ritardando ist dabei so stark, dass das letzte Sechzehntel des Teils bereits fast zwei Sekunden lang ist — und damit dem Tempo der Halben im nächsten Teil entspricht.
Während Teil H (wie alle vorangegangenen Teile) in seinem gesamten Klangbild recht deutlich ausgeprägte Eigenheiten besaß, weist Teil I so starke Verwandtschaften zu einem andern Teil auf, dass man durchaus von einer erweiterten Variation desselben sprechen könnte.
Die Teile E und I bilden in ihrer starken Aufeinanderbezogenheit wie auch in ihrem beinahe statischen Charakter eine Art Antiklimax-Achse des Gesamtwerks. Beide Teile sind exakt gleich lang (174 Sekunden), verwenden jeweils zwei Skalentranspositionen (wenn auch verschiedene) und sind im Kern gleich aufgebaut. Teil I ist, als zweiter extrem ruhiger Teil, als ein dramaturgisches Atemholen vor einem der Hauptteile von Anästhesie I zu betrachten. Dennoch gibt es auch fundamentale Unterschiede von denen der unmittelbar auffälligste sicher der ist, dass die strukturierenden Akkorde hier ausklingen, wo in Teil E lange Pausen völliger Stille klafften.
Doch zunächst zu den Gemeinsamkeiten. Wie schon erwähnt, ist die strukturelle Basis die gleiche wie in Teil E: zwei durch eine Überleitung verbundene Abschnitte deren proportionale Gliederung eine rückläufige und eine originale Diminuition der Großform darstellen.
In den Details finden sich dann aber doch weit mehr Unterschiede zwischen den Teilen E und I, als der beinahe identische Aufbau Glauben machen könnte.
Bereits in obenstehender Graphik ist zu erkennen, dass sich die im 2. Abschnitt verwendete 11. Skalentransposition bereits relativ früh in den 1. Abschnitt hineinschleicht — ebenso wie die letzten Spuren der 5. Transposition noch ziemlich weit in den 2. Abschnitt hineinragen.
Die Tonhöhenorganisation des 1. Abschnitts von I ähnelt auf den ersten Blick der des 2. Abschnitts von E: ausgehend vom 11tönigen Hauptakkord zu Beginn des Teils schrumpft dieser im 1. Abschnitt in 11 Schritten bis zum ersten Akkord der Überleitung. In diese stufenweise Kontraktion ist (wie im 2. Abschnitt von B) eine Expansion eingeflochten, die hier aber anders organisiert ist und anders klingt als in Teil E. Die in untenstehender Abbildung in Klammern gesetzten Töne werden als Acciaccaturen zu den Akkordtönen des kontrahierenden Akkords gespielt (jener in Teil C erstmals verwendeten Technik des gleichzeitigen kurzen Anschlags akkordfremder Töne, während die Akkordtöne gehalten werden). Diese Acciaccaturen führen bereits die sonst erst für den 2. Abschnitt maßgebliche 11. Transposition ein — beginnend mit dem Achsenton des in diesem dann expandierenden Akkord.
Das Akkordgerüst des 2. Abschnitts ist eine exakte retrograde Inversion des ersten. Die Hauptakkorde stehen nun in der 11., die Acciaccaturen fügen denselben in abnehmender Zahl Töne der 5. Transposition hinzu.
Diese beiden Abschnitte von Teil I sind durch eine Überleitung miteinander verbunden, die in sich ebenfalls fast völlig symmetrisch aufgebaut ist, wie die nebenstehende Graphik verdeutlicht (welche allerdings nur die Hauptebene der Überleitung abbildet).
Während also die 5. Transposition nach oben aus dem Klangbild gleitet, steigt von unten die 11. des 2. Abschnitts herauf. Die Überleitung endet mit dem selben Akkord mit dem sie begann — nun 6 Halbtöne höher in der 11. Transposition.
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Vor den Erläuterungen zur Hauptebene im 2. Abschnitt noch ein paar Anmerkungen zu einer über den gesamten Teil I ausgebreiteten zweiten Schicht: den Skalenläufer.
Nicht lange nach Beginn des Teils (kurz nach dem Erklingen der 5. Kontraktion des Hauptakkords) wird plötzlich erneut und sehr zart der höchste Skalenachsenton der 5. Transposition angeschlagen, der auch der höchste Ton des den Teil eröffnenden 11tönigen Hauptakkords war.
Von diesem d4 torkelt nun eine in ständigem Rubato befindliche Linie stufenweise eben diese 5. Transposition der Skala herab. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieses Rubato allerdings als eine vertraute Figur: die Dauern der Töne wiederholen die aus verschiedenen Zusammenhängen bereits vertraute Sequenz 7|5|3|2|2|5|7.
Gegen Ende des 1. Abschnitts werden die Staccati des Skalenläufers immer lauter. Kurz vor Beginn der Überleitung erreicht die Linie den tiefsten Skalenachsenton — das As1; sein ff verbirgt den Neueinstieg des zweiten Skalenläufers sechs Oktaven darüber.
Während die erste Linie sich am unteren Rand des Klavierumfangs in starkem Diminuendo ausfädelt, schleicht sich vom ppp des ersten as4 aus — im Laufe der relativ ereignisreichen Überleitung noch sehr unauffällig — der zweite Skalenläufer herab. Er steht nun in der 11. Skalentransposition.
Ziemlich exakt in der Mitte des 2. Abschnitts erreicht auch der zweite Skalenläufer das tiefste Register (diesmal ohne verdeutlichendes Crescendo) und verdoppelt sich ebenfalls sechs Oktaven darüber — damit bereits die 6. Transposition einführend, in welcher die nachfolgende Teil-Ligatur J/K stehen wird. Diesem dritten Skalenläufer ist zwar selbst kein langes Leben beschieden, aber immerhin initiiert er die ersten Anzeichen eines gegen Ende des Teils wüst hervorbrodelnden Accelerandos, welches (bereits in dessen 6. Transposition stehend) zum Teil J überleitet.
Die schon erwähnte, bereits in der Transposition des folgenden Teils stehende, sich im tiefsten Register zusammenbrauende und schließlich unaufhaltbar hervorstürmende kleine Raserei reißt das Geschehen schließlich mit sich (in obenstehender Graphik gelb) und bricht erst mit dem Beginn des Teils J jäh ab.
Im Teil J wird nun in Vollständigkeit ausgebreitet, was sich im Verlauf des Stückes in immer ausführlicheren und detailgenaueren Andeutungen angekündigt hatte: der isländische Dialog.
Auf diese Weise wird in Teil J der gesamte Dialog wiedergegeben, wobei sich erst beim Bannspruch des Mädchens (SIE 4) die Stimmenanzahl auf 7 Stimmen vergrößert.
Von diesem letzten Vers des Dialogs erklingt nur die erste Hälfte noch innerhalb des Teils J, während die zweite weit in den nachfolgenden Teil K hineinragt (der allerdings in der gleichen Transposition wie jener steht).
Der letzte Teil des Kerns von Anästhesie I ist schließlich Teil K. Er ist gewissermaßen die Coda jener vielfältig verwobenen Kombination aus Expositionen und Durchführungen, die Teil A–K bilden: eine Art "Vorhang" zum bisherigen Geschehen, bevor mit Teil L der umfangreiche reprisenhafte Schlussteil des Stückes beginnt.
Teil K beginnt (im ff) mit der letzten Zeile des isländischen Dialogs in einer gegenüber Teil J leicht veränderten Satzweise. Sie verstäkt die Dynamik der Sprachmelodie durch Veränderung in der Valenz der Akkorde: leise Akkorde haben weniger Akkordtöne als laute.
Noch vor dem Ende der Phrase fällt dieser eine rhythmisch diminuierte und aufwärts transponierte Imitation in nachdrücklichem fff ins Wort, nur um wenig später von einem zweiten, ebenfalls diminuierten und nochmals aufwärts transponierten Comes in schrillem ffff noch überboten zu werden.
Aus letzterem löst sich schließlich der eigentliche Hauptgedanke des Teils — eben jener beinahe über den gesamten Tonraum der Instrumente gleitende Vorhang. Seine zeitliche Ausdehnung ist erheblich größer als die einleitende dreischichtige Engführung, da bereits kurz nach seinem Beginn ein kontinuierlich stärker werdendes Ritardando einsetzt (welches in nachstehender Graphik undargestellt bleibt).
Dieser Vorhang ist aus abwärtsgleitenden Linien gewoben, welche sich aus den etwas hervorgehobenen Tönen der Oberstimme lösen. Diese Oberstimme steigt in einem unabhängig vom ständigen Ritardando verlaufenden Rubato die Stufen der Skala hinab und verliert dabei an Lautstärke.
Die aus ihr herabfallenden Linien werden allmählich immer kürzer wodurch sich der Ambitus des Gesamtklangs immer mehr verengt. Über den gesamten Vorhang hinweg bleiben beide Haltepedale der Pianisten ununterbrochen getreten. Erst der letzte Ton desselben hebt mit seinem Staccato den Nachklang auf. Eine kurze Fermate des Innehaltens … und das Résumé beginnt.
Der letzte Teil von Anästhesie I ist mit Résumé überschrieben und stellt — wie oben bereits erwähnt — eine proportional exakt diminuierte Reprise des gesamten Stücks dar.
Das bedeutet, dass die letzten 7 Siebenundvierzigstel des Gesamtwerkes, über welche sich der Teil L erstreckt, wiederum in Siebenundvierzigstel geteilt werden, von denen die ersten 4 Teil La ausfüllt, die nächsten 7 Teil Lb etc.
Bei dem auf den Seiten dieses Werkes unter dem Rubrum anhörbaren Ausschnitt aus Anästhesie I handelt es sich übrigens um die Abschnitte La–Lk des Teils L.
Damit Sie nicht bis ganz nach oben scrollen müssen, können Sie sich das Tonbeispiel auch hier anhören:
Der Prozess der Verkleinerung der ursprünglichen Teile folgt dabei unterschiedlichen Regeln.
Für den Teil La, beispielsweise, wird tatsächlich das gesamte Geschehen des Teils A von ursprünglich fast 2 Minuten auf 17 Sekunden eingedampft, wobei die Proportionen zwischen Eröffnungsfigur und den beiden Hauptabschnitten ebenso gewahrt werden wie die Verhältnisse der Akkorddauern zueinander — während die Idee der Vor- und Nachschlags-Sedimentierungen auf der Strecke bleibt:
Für die Diminuition anderer Teile wurden hingegen andere Reduktionsverfahren benutzt. Besonderes Augenmerk bei der Auswahl derselben war darauf gerichtet, den Fluss des Geschehens in der Abfolge der ursprünglichen Teile zu erhalten, weshalb den verschiedenen Formen der Übergänge zwischen den Teilen eine wesentliche Rolle zukommt.
Unmittelbar auf den Teil Lk folgt mit dem Teil Ll eine erneut in gleichem Verhältnis 7:47 verkleinerte Reprise aller Teile von Anästhesie I.
Die 47 in stabilem Tempo 91 auszuführenden Viertel des Teils Ll, welcher nicht mehr im oben angebotenen Tonbeispiel enthalten ist, resümieren mit den Abschnitten Lla-Llk das Stück in letzten Partikeln:
Sie können diese unmittelbar an das bereits bekannte Tonbeispiel anschließenden Abschnitte Lla-Llk hier anhören:
Auch in dieser zweiten diminuierten Reprise blieb die Abfolge der verwendeten Skalentranspositionen die gleiche wie im gesamten Stück.
Die diesen Satz endgültig beschließende dritte, erneut im gleichen Maßstab verkleinerte Reprise Lll reduziert das Geschehen des gesamten Stücks auf zwei Aspekte: eben diese Sequenz der Skalentranspositionen — vertreten durch ihre Modusachsentöne — und die Dauernproportionen.
Die letzten drei Takte der Partitur sind demzufolge: